Freitag, 1. November 2019

David Crispin: - Kreuzzüge - religiös motivierte Gewalt


David Crispin:
„Ihr Gott kämpft jeden Tag für sie“.
Krieg, Gewalt und religiöse Vorstellungen
in der Frühzeit der Kreuzzüge
(1095–1187)

Paderborn: Schöningh (Brill),
2019, 241 S., Personen- und Ortsregister 

--- ISBN  978-3-506-79242-6
--- auch als e-book erhältlich
--- Interreligiöse Bibliothek (IRB):
     Buch des Monats November 2019

Unmittelbar durch das Titelzitat signalisiert der Historiker David Crispin bereits die Intentionen seiner hier in Überarbeitung vorliegenden Dissertation (WS 2016/2017, Universität Vechta). Er lässt nämlich eine muslimische Frau mit offensichtlich pro-christlichen Ansichten zu Worte kommen, die allerdings aus den parteiischen Kreuzzugsberichten Gesta Francorum (um 1100) stammen. Sie bestätigen natürlich, dass der Gott der Christen täglich gegen die ungläubigen Muslime vom Himmel her kämpft (S. 83f). Dahinter steht das zentrale religiöse Begründungsmotiv für die Kreuzzüge: Gott habe gewollt, dass die Heiligen Stätten – insbesondere Jerusalem – auch militärisch zurückgewonnen werden sollten (S. 53f). So rücken politische und religiöse Interessen im Zusammenhang kirchlicher Machtansprüche in den Fokus und bringen den Faktor „Religion“ direkt in Bezug auf Krieg und Gewalt direkt ins Spiel (S. 3).
Was im Zitat des Buchtitels quasi komprimiert ist, beschreibt der Autor nun – unter ausführlicher Berücksichtigung der derzeitigen Forschungslage – im 1. Kapitel: Politisch-religiöse Rahmenbedingungen im Blick auf die Rechtfertigung von Krieg und Gewalt am Vorabend der Kreuzzüge. Zur genaueren Bearbeitung dient die Erkenntnis, dass die biblisch geprägte Sprache der Chronisten des 1. Kreuzzugs geeignete Stellen des Alten Testament benutzt, um so die Gewaltrhetorik zu legitimieren. Dies gab es vorher nicht; erst das Reformpapsttum rechtfertigte auf diese Weise die Notwendigkeit der Befreiung Jerusalem von den ungläubigen Muslimen (S. 17f). Immer wieder wird darum Psalm 79 angeführt, der sich auf die Entweihung des Jerusalemer Tempels durch Antiochus IV. Epiphanes 167 v. Chr. bezieht. Zugleich wird aber auch eine innerchristliche Problematik markiert auf Grund der Verwüstungen, die durch die Feld- und Raubzüge des „christlichen Kriegeradels“ entstanden. Die politische brisante Situation Ende des 11. Jahrhunderts ließ den Gottesfrieden bei divergierenden Machtinteressen kaum zu. Der Kreuzzugsgedanke war damit eine fast geniale Möglichkeit, die Einheit der Christenheit wieder zu betonen, und zwar durch das Feindbild Islam. So setzten sich die Reformpäpste – zugleich als Führer der militia sancti Petri – mit ihren Neuordnungskonzepten vehement für die Stärkung der kirchlichen Macht ein. Das Ziel war, gegenüber der weltlichen, besonders der kaiserlichen Herrschaft bei der Einsetzung (Investitur) von Bischöfen (die oft zugleich weltliche Herrscher waren) die päpstliche Priorität zu sichern. Papst Gregor VII. (um 1025-1085) ist das herausragende Beispiel im Zusammenhang des berühmten Investiturstreits, der unter Papst Calixt II. (1060–1124) im Jahre 1122 mit dem Kompromiss des Wormser Konkordats endete. Von daher ist es verständlich, dass der Kreuzzugsgedanke – trotz der Planungen Gregors VII. – erst relativ spät in die Realität umgesetzt wurde. Eine Schlüsselrolle spielen dabei offensichtlich die in drei Versionen existierende Kreuzzugspredigt von Papst Urban II. am Schluss des Konzils von Clermont-Ferrand im Jahre 1095. Gewalt und Töten als Form der Buße durch das Ableisten eines entsprechenden Gelübdes – war dabei der Gipfel einer bisher so nicht dagewesenen Auslegung der christlichen Botschaft, in der auch die Schändung der heiligen Stätten der Christenheit durch die Muslime als zusätzliches Verstärker-Argument für den wahren Glauben diente.
Der beispiellose Erfolg des 1. Kreuzzugs – vom Autor mit einem Überblick zum Gesamtereignis im 2. Kapitel ausführlich dargestellt – wurde lange von Kreuzfahrern, Chronisten und Erzählern weiter verbreitet. Die Betonung der religiös begründeten Massaker – bereits in Antiochia und schließlich in Jerusalem – mischt sich mit dem Glauben, dass die Siege dem himmlischen (Wunder-)Wirken zu danken seien, denn schließlich hatten – so die päpstlich abgesegnete Meinung – die Ungläubigen die heiligen Orte der Christenheit verunreinigt und geschändet. Es wundert darum nicht, dass auf diese Weise die Rachementalität beunruhigend weiter angeheizt wurde. Die ambivalente Faszination der Kreuzfahrer, selbst an den originalen Stätten Jesu zu sein, setzte zugleich Kraft für weitere Kämpfe frei, denn nicht jede Schlacht war siegreich, und manche Ereignisse wurden legendarisch überhöht. So gab es bei einzelnen Berichten Zweifel, wie z.B. beim Auffinden der Lanze des Hauptmanns am Kreuz (S. 111) oder im Blick auf die Fragmente des wahren Kreuzes Christi (S. 115). Aber aufkeimende Kritik wurde dann oft durch „passende“ Visionen und Analogien zur Heiligen Schrift beiseite geräumt.
Neben den unmittelbar Betroffenen und Beteiligten des 1. Kreuzzugs mussten natürlich die Geschehnisse für die Daheimgebliebenen entsprechend aufbereitet werden. Diese Phase beschreibt der Autor in Kapitel 3. Das Problem spitzte sich dadurch zu, dass die zweite Welle des 1. Kreuzzugs viele Niederlagen erleben musste, besonders in der Schlacht von Merzifon (Türkei) im Jahre 1101. So konnte nur ein Teil des Heeres 1102 in Jerusalem seine Gelübde erfüllen. Crispin hebt hier wiederum die Gesta Francorum hervor, weil dieser Bericht „den sicherlich größten Einfluss auf folgende Werke entfaltete und das Bild der Unternehmung bis heute entscheidend prägt“ (S. 133). Die Verunreinigung der heiligen Stätten der Christenheit spielte dabei weiterhin eine dominierende Rolle, aber ebenso fließen apokalyptische Motive ein – wie des Antichristen und die zur Erfüllung kommenden die Prophezeiungen im Buch Daniel (S. 151).
Diese endzeitlich geprägte Siegermentalität beeinflusste in erstaunlicher Weise die folgenden zum Scheitern verurteilten Kreuzzugsunternehmungen, wie Crispin anschaulich im 4. Kapitel am Misserfolg des 2. Kreuzzugs von 1145–1148 vorführt. Erheblichen Einfluss zur Rekrutierung des 2. Kreuzzugs hatten der Zisterzienser-Abt Bernhard von Clairvaux und der ebenfalls zum Zisterzienserorden gehörende Papst Eugen III. Die Niederlagen wurden natürlich weniger publik gemacht als die Siege des 1. Kreuzzugs. In den Berichten schimmert aber auch strategisches und taktisches Fehlverhalten der Kreuzfahrer durch, am deutlichsten vielleicht am Nebenschauplatz der Eroberung Lissabons als Etappe auf dem Weg ins Heilige Land! (S. 184).
Dass sich neue Sichtweisen angesichts der politischen Instabilität der Kreuzfahrerstaaten durchsetzten, hängt mit dem Aufstieg und der Machtausbreitung Sultan Saladins zusammen. Bei der Schlacht von Hattin 1187 wurde das lateinische Heer so gründlich geschlagen, dass das Ende der lateinischen Herrschaft mit Jerusalem als christlicher Hauptstadt besiegelt schien.
Der bereits 1186 gestorbene Erzbischof Wilhelm von Tyrus und Kanzler des Königreiches Jerusalem hatte als Repräsentant der lateinischen Präsenz im Vorderen Orient die sich zuspitzende Situation weiterhin im Glanz des
1. Kreuzzugs geschildert und besonders die damaligen Gewaltexzesse in Jerusalem als quasi notwendig interpretiert. Das half allerdings nun nicht weiter, denn die Kreuzfahrer sahen sich aufgrund der für sie verschlechterten politischen Situation genötigt, mit den „Ungläubigen“ Verhandlungen und Kompromisse einzugehen. „Während man einerseits in den Auseinandersetzungen mit den muslimischen Nachbarn durchaus pragmatisch vorging und Gewalt vermeidende Strategien eine wichtige Rolle für die Sicherung der lateinischen Präsenz im Vorderen Orient spielten, blieben andererseits die Erinnerung an die blutigen Triumphe des Ersten Kreuzzugs … präsent“ (S. 204).
Crispin betont in der Zusammenfassung seiner Schilderungen zwischen 1095 und 1187, dass der 1. Kreuzzug als von Gott geleitete Fügung und Führung als unausweichlich erachtet wurde, um die christlichen Stätten von der Verschmutzung (pollutio) durch die ungläubigen Muslime zu reinigen, gewissermaßen mit dem eisernem Besen. Dieses Narrativ motivierte zum 2. Kreuzzug, zumal auch die Teilnahme an einem Kreuzzug als Bußleistung die Kreuzfahrer dem himmlischen Heil näher brachte. Der vernichtende Ausgang dieser Unternehmung und die Eroberung Jerusalems durch die Muslime nötigten dazu, quasi noch einmal von vorn zu beginnen, um die Heilige Stadt zurückzuerobern. Dazu benutzte man stereotyp dieselbe religiöse Argumentation wie zuvor. Insgesamt jedoch zerfaserte sich die Kreuzzugsbewegung, besonders durch innereuropäische Kreuzzüge gegen Häretiker und politische Feinde des Papsttums.
Resümee: Verheerende Folgen religiöser Gewaltvorstellungen im Zeitalter der Kreuzzüge
Der Mediävist David Crispin beschränkt sich mit seiner Arbeit auf die erste Phase der Kreuzzüge. Er zeigt, wie sich besonders durch die Siege im 1. Kreuzzug ein Narrativ verstärkt, so dass sich mit biblischen „Begründungen“ Gottes Kriegswillen belegen ließ und die kirchliche Autorität das Feindbild – die Muslime als Ungläubige – weiter aufheizte. Dieses Argumentationskonstrukt motivierte auch zu den weiteren Kreuzzügen. Daran änderten auch die vernichtenden Niederlagen des 2. Kreuzzugs kaum etwas, vielmehr mussten die Heiligen Stätten nun aufs Neue von den Ungläubigen befreit werden. Allerdings ging der zielgerichtete Impetus der Anfänge Ende des 12.Jh.s und im 13. Jahrhundert verloren. Der Kampf richtete sich nun verstärkt auf die Ungläubigen, Häretiker und Feinde des Papstes in Verbindung mit weltlichen Herrschern, die daraus erheblichen Nutzen ziehen konnten (wie besonders Philipp IV., der Schöne, von Frankreich bei der Vernichtung der Templer im 14. Jahrhundert).
Bedenkt man den zunehmenden Einfluss extrem-fundamentalistischen Gedankenguts in der Gegenwart gerade mit Berufung auf Bibel und Koran, dann wird deutlich, dass frühzeitig religiös begründete Gewalt und Herrschaftsphantasien ein Riegel vorgeschoben werden muss, damit nicht Gottes Wille zur Rechtfertigung der eigenen Gewalt dient.

Die Kreuzzüge aus islamischer Sicht / The crusades from an Islamic point of view
Les croisades d'un point de vue islamique / Las cruzadas desde un punto de vista islámico
--- Paul M. Cobb: Der Kampf ums Paradies. Eine islamische Geschichte der Kreuzzüge.
     Unter Mitarbeit von Michael Sailer.
     Darmstadt: Philipp von Zabern 2015, 428 S.
     Rezension und Inhaltsverzeichnis in „sehepunkte“ 15 (2015), Nr. 9 (Philipp Goridis):
     
http://www.sehepunkte.de/2015/09/26869.html
--- Francesco Gabrieli: Arab Historians of the Crusades. Translated from the Italian by E.J. Costello.
     New York: Dorset Press 1989, XXXVI, 362 pp., index
--- Malcolm Cameron Lyons & D.E.P. Jackson: Saladin.
The politics oft he Holy War.
     Cambridge (UK) u.a. / New York u.a.: Cambridge University Press [1982], 1984, VIII, 456 pp., index
--- Usama Ibn Munqidh: Ein Leben im Kampf gegen die Kreuzritterheere
      Aus dem Arabischen übertragen und bearbeitet von Gernot Rotter.
   
      München: Goldmann  TB 8776, 1988, 261 S., 1 Karte, Glossar
---  Usama Ibn Munqidh: An Arab-Syrian Gentleman and Warrior in the Period of the Crusades.
      Memoirs of Usamah Ibn-Munqidh.
      Translated by Philip K. Hiti. London:Tauris 1987, XI, 265 oo., illustr., maps, index
---  Historia No. 630 (juin 1999), 112 pp., illustr.: Chrétiens et Musulmans.
      Le Choc. Il y a 900 ans à Jérusalem (Dossier: pp. 35–61)
Reinhard Kirste

Rz-Crispin-Kreuzzüge, 31.10.19

CC

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