Samstag, 30. November 2019

Probleme der Entwicklungspolitik und Armutsbekämpfung - kleine Bücherschau

Michael Bohnet:
Geschichte der deutschen Entwicklungspolitik
Strategien, Innenansichten, Erfolge, Misserfolge, Zeitzeugen, Herausforderungen.

Stuttgart: UTB 2015, 2019, 2. Aufl. 2019, 331 S.

--- ISBN-10: 3825243206 --- 



Der Autor Michael Bohnet hat über Jahrzehnte  in der Entwicklungsforschung und Entwicklungspolitik, große Sachkenntnis erworben, besonders als Abteilungsleiter des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Die aktualisierte und erweiterte zweite Auflage seines Buches „Geschichte der deutschen Entwicklungspolitik“ enthält im Vergleich zur ersten Auflage (2015) etliche neue Aspekte (etwa ein Drittel des Buches ist neu)
Die deutsche Entwicklungspolitik war unter den bislang
13 Ministerinnen und Ministern durch ein Wechselbad von Strategien geprägt: Außen- und Sicherheitspolitik, Wirtschafts- und Rohstoffpolitik sowie Umwelt- und Friedenspolitik waren stets durchwoben von ethisch-humanitären Motiven. 

Ein Geleitwort von Dirk Messner führt mit Kapitel 1 zu Grundwissen und zu den Anfängen der deutschen Entwicklungspolitik (1953-1962) in Kapitel 2. 
In der 2. Auflage entstand durch eine stärkere Einbettung der 15 Etappen der deutschen Entwicklungspolitik (von Scheel 1960 bis Müller heute) im  geschichtlichen Zusammenhang eine Verbesserung.  Basis für die bundesdeutsche Entwicklungspolitik seit den 1950er Jahren war der Ost-West-Konflikt. In den 1960er und 1970er Jahren zeigte sich Entwicklungshilfe immer auch als ein Instrument im Systemkonflikt, weil die Bundesregierung Geld und materielle Hilfe insbesondere solchen Regierungen gewährte, die im Gegenzug die DDR nicht anerkannten. Vor allem in den 1960er Jahren entstand so geradezu ein Wettlauf zwischen beiden deutschen Staaten um die Gunst afrikanischer Länder, denn auch die DDR nutzte das Instrument der Entwicklungshilfe, um die bundesdeutsche Hallstein-Doktrin zu unterlaufen.
Ab den 1990er Jahren bestimmte die globale Perspektive mit sozialen und ökologischen Verwerfungen besonders in den „Enwicklungsländern“ als potentielle Bedrohung für die gesamte Menschheit die Diskussionen. 
Ausgesprochen interessant ist die erweiterte Liste von über 40 Zeitzeugen mit ihren Kurzbeiträgen zu den Kapiteln der bisher 13 MinisterInnen des BMZ. 
Lobenswert ist die Bewertung der Rolle der Zivilgesellschaft (mit den nicht- staatlichen Organisationen, Übersicht = S. 280f.) im Kontext der deutschen Entwicklungspolitik. Dazu kommt ebenfalls neu ein erweitertes Kapitel 15 über den Paradigmenwechsel zur Nachhaltigkeit der heutigen Entwicklungspolitik unter Gerd Müller (S. 217ff.). 
Abschließend in Kapitel 16  skizziert Bohnet im Sinne einer ausgewogenen Bilanz eine ausführliche historische Orientierung der Erfolge und Misserfolge von 60 Jahren Entwicklungspolitik. In diesem Kontext stellt er ein durchdachtes 15- Punkte-Programm für aktuelle und zukünftige entwicklungspolitische Herausforderungen vor angesichts etwa der Prognose, dass sich Afrikas Bevölkerung bis 2050 verdoppeln wird, usw.
So liegt hier ein gelungener Aufbau eines verständlichen Lehrbuches als  Standardwerk vor. Auch die grafische Gestaltung/Layout durch Info - Graphiken als Ergänzung zum Kapitel „Grundwissen Entwicklungspolitik“ ist gelungen. 
Insgesamt skizziert der Autor diese häufigen Paradigmenwechsel der staatlichen Entwicklungshilffe in der jüngsten Geschichte und vermittelt eine eindrucksvolle Innenansicht der Etappen der deutschen Entwicklungspolitik. Zu allen Perioden werden Stimmen von Zeitzeugen wiedergegeben. Der Autor bettet die 15 Etappen deutscher Entwicklungspolitik (von 1960 bis heute) in der neuesten Auflage des Buches stärker in den geschichtlichen Zusammenhang ein und skizziert die aktuelle Entwicklungspolitik unter
Gerd Müller in einem erweiterten Kapitel.
Ein Anhang enthält die Namen der "BMZ-Personen [...], die die eigentlichen 'Gestalter' "der Entwicklungspolitik waren (S. 7), weiterhin Organisationspläne des BMZ sowie wichtige entwicklungspolitische Institutionen.
Bei aller analytischen Klarheit Bohnets kommen die begrenzte Bewertung im BMZ für Agrar-und Ernährungsfragen zum Vorschein. Dazu werden die europäischen Verflechtungen deutscher Entwicklungspolitik mit  den Beziehungen zur EU, zu Frankreich, Großbritannien, Italien ... - die ebenfalls  entwicklungspolitisch engagiert sind -  nur begrenzt berücksichtigt: Besonders angesichts der  Einwanderungsfragen sind diese Zusammenhänge für die sozio-ökonomische und demografische Zukunft der Europas  unbedingt zu bedenken.
Vgl.  https://www.bpb.de/internationales/europa/europa-kontrovers/38103/migration
 
Bedenkenswert im Kontext  "Masterplan Migration" bei entwicklungspolitischer Zusammenarbeit zur Verringerung der Fluchtursachen ist derGreed-and-Grievance-Ansatz, d.h.: Es geht zuerst um Möglichkeiten, Wohlstand zu erreichen und weniger darum, religiöse, politische oder ethnische Unterdrückung zu minimieren (so Paul Collier/Anke Höffler, s.u.). Denn durch die aktuelle Flucht- und Migrationsdiskussion im Kontext der Entwicklungshilfen [bezogen auf die Herkunfts- und Transitländer: mögliche Nordafrikastrategien usw.] erhält das empfehlenswerte und gut lesbare  Werk zusätzliche Relevanz

Paul Collier: Exodus - Immigration and Multiculturalism
in the 21st Century

London et alii: Allan Lane (Penguin Books)
2013, 320 pp.
---  ISBN 
 978-1846142246 


Deutsche Ausgabe: 
Exodus: Warum wir Einwanderung neu regeln müssen.

Übersetzung: Klaus-Dieter Schmidt
München: Pantheon (Siedler) 2016, 318 S., Register
--- ISBN 
978-3570552872 --- 

Der britische Ökonom Paul Collier (geb. 1949) forscht zu den wirtschaftlichen und sozialen Folgen von Migration. Er plädiert für geringere und selektive Zuwanderung aus Entwicklungsländern nach Europa und in die USA. Dabei bezieht er sich insbesondere auf die Forschungen von Robert Putnam über die gesellschaftliche Fragmentierung als Folge fehlenden gegenseitigen Vertrauens zwischen den Einwohnern eines Landes. Dies verhindere zudem in vielen Entwicklungsländern - vor allem Afrikas - die Entstehung effektiver Organisationen und produktiver wirtschaftlicher Strukturen. 

In seinem Buch führt er aus: „Für eine dauerhafte Zusammenarbeit ist Vertrauen nötig [...] Bei einem hohen Maß an Vertrauen arbeiten die Menschen besser zusammen, und die sozialen Kosten der Kooperation sind geringer, da weniger Zwangsmaßnahmen erforderlich sind. Soziale Normen sind also ebenso wichtig wie formelle Institutionen.“ Migranten würden zumeist aus Ländern mit nicht funktionierenden Sozialmodellen und geringem gesellschaftlichen und institutionellen Vertrauenskapital fliehen. Diesen Mangel brächten sie in die Einwanderungsländer mit und erhöhten damit die sozialen Kosten der Integration. Dennoch tritt Collier für die Legalisierung des Aufenthalts illegaler Einwanderer besonders in den USA ein.
Er veröffentlichte mit
Anke Höffler auch Artikel über die Ursachen von Bürgerkriegen in Afrika, die als Möglichkeit gesehen werden, zu verstärktem Wohlstand zu kommen (Greed-and-Grievance-Ansatz). Dabei werden religiöse, politische oder ethnische Unterdrückung eher ausgeblendet.

In Bezug auf die Flüchtlingskrise in Europa ab 2015 weist Collier Angela Merkel dann auch die Alleinschuld zu.

Hartmut Ihne, / Jürgen Wilhelm  (Hg.):
Einführung in die Entwicklungspolitik
bpb 1338.
Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung 2006, 3. Aufl. 2013, 601 S., Register

--- ISBN 978-3825881528 ---

Inhaltsverzeichnis und Leseprobe >>>

Es ist Zeit für eine gemeinsame Politik der Staaten zur Lösung globaler Entwicklungsprobleme, denn die internationalen Rahmenbedingungen haben sich seit dem Ende des Ost-West-Konfliktes und dem Aufstieg Chinas und Indiens drastisch verändert. Solange der Norden als Geldgeber zur Lösung der Probleme des Südens herangezogen werden müsse, seien die Ziele der Entwicklungspolitik nicht erreicht. 
So werden im Buch detailliert vorgestellt:
Entwicklungshilfe; Kapitalhilfe; Low-income Countries, Deutschland, Länder der sog. 3. Welt etc. 
 Vor allem Ungleichgewichte im Entwicklungsstand verschiedener Länder treten immer stärker in unser Blickfeld und verdeutlichen die Bedeutung von politischer Entwicklungsarbeit.
Diese Einführung in die Entwicklungspolitik ist auf dem neuesten Stand von Theorie und Praxis und gibt einen thematisch breit gefächerten Überblick über Inhalte, Handlungsfelder und Akteure wieder. Sie schlägt eine Brücke zwischen einem klassischen und erweiterten Verständnis von Entwicklungspolitik. Sie umfasst also sowohl konkrete Aspekte der Projekt- und Programmebene der Entwicklungspraxis als auch deren globale Einordnung und theoretische Einbettung. Sie führt ein in Verfahren, Instrumente und Institutionen der Entwicklungspolitik auf nationaler, regionaler und internationaler Ebene und repräsentiert dabei den aktuellen Stand der entwicklungspolitischen Diskussion in Theorie und Praxis. 
Die Beiträge stammen von ausgewiesenen Fachleuten aus der Entwicklungspraxis und - forschung.
Dieser Theorie-Praxis-Ansatz unterscheidet die Darstellung von anderen Einführungen in das Themenfeld. Sie richtet sich insbesondere an Studierende entwicklungspolitisch relevanter Fächer, an Fachleute aus entwicklungspolitischen Organisationen sowie an entwicklungspolitisch interessierte Leserinnen und Leser. 
Die Einführung behandelt übersichtlich in sechs Kapiteln allgemeine Grundlagen der Entwicklungspolitik und zentrale Handlungsfelder der Entwicklungszusammenarbeit, wendet sich ausführlich den Politiken ausgewählter bi- und multilateraler Geber zu und beleuchtet die zentralen Aspekte globaler Entwicklung und globaler Strukturpolitik. Systematische Erörterungen zu ethischen und kulturellen Grundfragen der Entwicklungspolitik sowie Überlegungen zur Beratung von Entwicklungspolitik durch die Wissenschaft schließen die Einführung ab. Dabei wurde versucht, den Anspruch auf wissenschaftliche Präzision und Begründung mit dem der guten Lesbarkeit zu verknüpfen.


Wiesbaden: Springer VS 2018, 356 S.
--- ISBN 978-3658202521 ---


Dieses Lehrbuch bietet einen vertieften Überblick über die Geschichte und Politik Afrikas. Die Darstellung beginnt mit dem atlantischen Sklavenhandel und führt über die Phasen von Kolonialismus und Dekolonisation bis zu den Entwicklungsproblemen der Gegenwart. Dabei werden diverse Entwicklungstheorien zur Erklärung von erfolgreichen und fehlgeschlagenen Entwicklungspfaden einzelner Länder nach 1960 herangezogen.



Oskar Kurer: Entwicklungspolitik heute -
Lassen sich Wohlstand und Wachstum planen?
Wiesbaden: Springer 2017, 324 S
--- ISBN 978-3658123987 ---


Oskar Kurer ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Erlangen-Nürnberg. In seiner Forschungsarbeit versucht er Möglichkeiten zu prüfen, um einem erheblichen Teil der Weltbevölkerung den Weg aus der Armut zu ermöglichen. Hier liegen die großen Herausforderungen unserer Zeit und sind daher Diskussionsgegenstand dieses Buches. Der Erfolg westlicher Politik wird nach eigenem Selbstverständnis weitgehend daran gemessen, ob in der "Dritten Welt" die Wohlfahrt der Menschen soweit erhöht werden kann, dass keine materielle Not mehr herrscht und darüber hinaus die Menschen an Kultur und Politik teilhaben können. 
Das Buch stellt sich folgende essenzielle Fragen: Wie hat sich der Wohlstand der Menschen in den Ländern der Dritten Welt im Zeitalter der Globalisierung verändert? Warum sind einige Länder und Regionen in Armut verharrt, haben sich andere davon befreien können und sind wieder andere wohlhabend geworden? Welche Rolle spielen dabei der Staat und  die Gesetze des Marktes? Lassen sich diese Entwicklungen von außen steuern, beispielsweise durch Entwicklungszusammenarbeit? Welche Zukunftsaussichten haben diese Länder?
Die vorgetragenen Gesichtspunkte und weltweiten Zusammenhänge regen zu intensivem Nachfragen and Nachdenken an!


Zur weiteren Information:
Wirtschaftsnobelpreis 2019 und Bekämpfung der Armut >>>

Prof. Dr. Eckhard Freyer, Bonn



CC

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