Donnerstag, 11. Februar 2021

Volker Reinhardt: Weltveränderungen durch die Große Pest im 14. Jahrhundert

Reinhardt, Volker:
DIE MACHT DER SEUCHE-
Wie die Große Pest die Welt veränderte
1347-1353

München: C.H. Beck 2021,
256 S. 25 Abbildungen, 1 Karte

--- ISBN 978-3-406-76729-6 --- 

Inhaltsverzeichnis und Leseprobe >>>


Dieses  Sachbuch beschreibt die Pest - auch „Schwarzer Tod“ oder „Großer Tod“ genannt: immer wieder in der Geschichte der Menschheit haben Epidemien und Pandemien das Leben bedroht. Kultur und Glaube wurden dadurch beeinflusst; und Verschwörungstheorien sowie Verfolgungen waren oft die Folge.

Der Autor Volker Reinhardt ist Professor für Geschichte an der Universität Fribourg (Schweiz) und gehört zu den international führenden Historikern der italienischen Geschichte. Italien ist der europäische Ausgangspunkt der Pandemie und ist Ort der zahlreichsten Quellen, besonders aus Florenz als dem kulturellen Ausstrahlungszentrum des europäischen Kontinents. 

Übersicht der Hauptthemen

Reinhardt beschreibt die Große Pest, die von 1347 bis 1353 Europa verwüstete: sie war eines der einschneidenden Ereignisse der europäischen Geschichte. Der Autor zeigt ihre Ursachen auf, ihre Ausbreitung, die Zerstörungen, die sie anrichtete, und ihre unmittelbaren wie langfristigen Folgen.  
Die Pest nahm ihren Ursprung in Asien und beherrschte das öffentliche Leben in Europa seit dem Jahr 1347 bis zu ihrem vorläufigen Ende 1353. Später kam sie in  Wellenform immer wieder zurück. Reinhardt schildert die unterschiedlichen Verhältnisse in ausgewählten italienischen Städten, und fragt, wie die Überlebenden politisch und wirtschaftlich, religiös und künstlerisch das große Sterben bewältigten. Dabei fällt auf, dass der Stadtstaat Mailand die Pandemie beinahe unbehelligt überstand: dies mag darauf zurück zu führen sein, dass der Mailänder  Luchino Visconti die Stadt komplett isoliert hatte und dabei womöglich Infizierte in ihren Häusern einmauern ließ. Im europäischen Kontext sticht auch Polen hervor, wo es ebenfalls keine Pest und kein Massensterben gab. Ansonsten ist in Europa in etwa jeder vierte Mensch an der Pest im 14. Jahrhundert gestorben.
Da es zu der Bekämpfung der Krankheit kein Heilmittel gab, steigerte diese Hilflosigkeit die Angst; und das Nichtwissen derjenigen, die es wissen sollten, erzeugte Panik. Hier zeigen sich Parallelen zur Corona-Pandemie seit 2020.
Reinhardts spannend geschriebenes Panorama führt eindringlich vor Augen, was wir dem medizinischen Fortschritt verdanken – und wie verblüffend ähnlich wir heute trotzdem auf eine Pandemie reagieren. Der europäische Flächenbrand der Pest erweist sich in der Nahperspektive als eine Summe von lokalen Dramen, die die Menschen jeweils unterschiedlich erlebt haben: so die Verfolgung von Minderheiten wie die Juden (diese Gruppe wurde vermehrt nördlich der Alpen als angebliche Brunnenvergifter verfolgt).
Der politische Umsturz war gewollt oder z.T. auch die Restauration bzw. das Lob der Tyrannis, wie sie die Stadt Mailand praktizierte.
Boccaccios klassische Beschreibung der Pest erweist sich zwar als späte Stilisierung nach antiken Vorbildern, aber Bilder, Bauwerke oder anonyme Chronisten lassen ermessen, wie groß die Verunsicherung war und wie übermächtig die Sehnsucht nach der verlorenen Normalität.

Der Inhalt des Buches im Einzelnen

Die Einleitung – Zeiten der Verunsicherung, einst und heute (S. 9 ff) erinnert uns: An der Pest ist in Europa im 14. Jahrhundert jeder vierte Mensch gestorben. Dank der Entwicklung eines Impfstoffs sowie der technischen und medizinischen Möglichkeiten seit dem Mittelalter war – im Vergleich zur gegenwärtigen Corona-Epidemie – die Mortalität erheblich höher.
Aber im Umgang der jeweiligen Pandemien fällt auf: Menschen reagieren auf derartige Situationen häufig ähnlich – die Angst, das Gefühl der Bedrohung aus dem Unbekannten - und damals wie heute sind Verschwörungstheorien verbreitet.
 

Erster Teil: DIE PEST UND DIE MENSCHEN

  1.  Herkunft und Auftauchen der Seuche (S. 19 ff) zeigen sich zuerst 1347 in Messina - ausgehend vom genuesischen Handelsstützpunkt Caffa auf der Krim.
  2.  Die Ausbreitung der Pandemie lässt sich durch den Infektionsweg gut verfolgen
    (vgl. Karte S. 25).
  3. Die Symptome und Ursachen kommen zur Sprache wie
  4.  die Sterbeziffern und Bevölkerungsverluste in diesem Kontext: Sie sind schrecklich und betrafen, so im Kapitel
  5. Reich und Arm, aber vermehrt die Armen.
  6.  Auf der Suche nach Brot, Sinn und Seelenheil hatte die damalige Kirche „keine allgemein befriedigende Deutung der Katastrophe zu bieten und wurde durch ihr Auftreten im Verlauf der Pest insgesamt entzaubert“ (S. 48).

Im zweiten Teil:  DIE MENSCHEN UND DIE PEST (S. 55 ff) werden die unterschiedlichen Reaktionen in europäischen Städten und Ländern auf die Pest dargelegt:

  1. Überlebende berichten.
  2. Kaufleute Literaten und Parvenüs in Florenz werden vorgestellt.
  3. Die Pest und der politische Neuanfang in Rom zeigen spannende Perspektiven.
  4. Besonders das Wunder von Mailand (S. 98 ff) erinnert an heutige Quarantäne-Maßnahmen. Als im Frühjahr 1348 die Pest nahte, ließ der Mailänder Herrscher Luchino Visconti die Stadt komplett isolieren. Kranke in der Stadt wurden vorsorglich eingemauert. So blieb Mailand als einzige Stadt Italiens von der Pest verschont.
  5. Ein Putsch nach der Pest: Venedig - obrigkeitlicher Aktionismus  und der Tod in Venedig sowie der Putschversuch des Dogen
  6. Mit viel Rauch und sozialer Distanz versucht der Papst in Avignon,
    der Seuche zu entgehen
  7. Eine Stadt rückt zusammen: Die Pest in Paris ist ein Beispiel dafür,
    wie eine Stadt zusammenrückt.
  8. Pogrome und Geißlerzüge  sind Begleiterscheinungen, so in Würzburg, Straßburg, und Frankfurt. Gleichzeitig führte die Suche nach den Ursachen zu Wutausbrüchen gegen Juden, denen vorgeworfen wurde, Quellen und Brunnen vergiftet zu haben. Vor allem in den Städten des Heiligen Römischen Reiches kam es zu Pogromen, die zahlreiche Opfer forderten.
  9. Schließlich geht es um Ursachenforschung und Gegenmaßnahmen: Europäische Vergleiche

Im dritten Teil: DIE MENSCHEN NACH DER PEST
werden folgende Themenbereiche spannend dargelegt.

1. Gewöhnung, Prävention und kulturelle Prägungen
2. Wirtschaftliche Vorteile der Besitzlosen 
3. Die Stärkung der Mächtigen
4. Das neue Selbstbewusstsein der Unterschichten
5. Der Machtverlust der Päpste
7. Wie die Humanisten mit der Pest umgingen
7. Auf der Suche nach der Pest in Bildern und Statuen
8. "Kinder" der Pest: Die Heilige und der Kapitalist

Aufgrund der Entvölkerung gab es nie dagewesene Aufstiegschancen, und die Große Pest hat den gesellschaftlichen Wandel vorangetrieben sowieEntwicklungen beschleunigt - wie Reinhardt analytisch zeigt. 
Im Epilog zeigt der Autor alte Gewissheiten und neue Hoffnungen auf.

Im weiter orientierenden Anhang wirkt 
Reinhardts Parallelisierung von Pest und Corona-Pandemie doch problematisch. Er zeigt, dass der europäische Flächenbrand eine Summe von lokalen Dramen war, die die Menschen auf ganz unterschiedliche Weise bewältigten: durch politische Umstürze, Verfolgung von Minderheiten, Restauration alter Verhältnisse oder Tyrannis. Pandemien gab es gestern, heute und auch morgen wieder.


Überblickt man die Gesamttendenz der Ausführungen Reinhardts, so ist die Bilanz:
Generell ein lesenswertes und zugleich spannendes Buch!

Ergänzende Informationen

Ausführlicher, reich bebilderter Katalogband zur Ausstellung >>> 

Starb Dschingis Khan an der Pest? Historische Quellen liefern Hinweise auf die Beulenpest als Todesursache des Mongolenherrschers - Nadha Podregar in: GEO Wissen, 09.02.2021

  • Arrow KJ.:  Uncertainty and the Welfare Economics of Medical Care. The American Economic Review, Vol. 53, No. 5. (Dec., 1963), pp. 941-973
  • Coase RH.:  The new institutional economics. Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft (ZgS) 1984(140), p. 230
  • Heiden M, Buchholz U. Modellierung von Beispielszenarien der SARS-CoV-2-Epidemie 2020 in Deutschland. DOI 10.25646/6571.2
  • Tim Oehler: Corona Nights Hamburg
    Hamburg: Junius 2020, 208 S.
    Hier findet man die neuesten Informationen aus offiziellen Quellen und von vertrauenswürdigen Medien, zusammengestellt (on der LinkedIn Redaktion).
     Außerdem werden alle Informationen auf der Seite des Bundesgesundheitsministerium und des Robert Koch Instituts regelmäßig aktualisiert. -

Weitere Links:

 



Prof. Dr. Eckhard Freyer, Bonn und Dr. Romano Minwegen (Mediziner und Jurist), Bonn
Vgl. R. Minwegen: 
 Placebo: Missverständnisse und Vorurteile:
 Dilemma bei der Rechtsprechung

Placebo: Misunderstandings and Prejudices:
 Dilemma in Jurisdiction, 
Deutsches Ärzteblatt 10. Jg. 2010 - 33/M-56
8




Lizenz: CC


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen