LWL-Museum für Archäologie, Westfälisches Landesmuseum, Herne;
Stefan Leenen, Alexander Berner, Sandra Maus, Doreen Mölders (Hg.):
DIE PEST. Eine Spurensuche
(Katalog zur Ausstellung in Herne)
(Katalog zur Ausstellung in Herne)
Darmstadt: wbg Theiss 2019. 696 S. mit etwa 700 farb. Abb., Bibliografie, Bildnachweise
--- ISBN
978-3-8082-3996-6 ---
Kurzkommentar zum Katalog mit Inhaltsverzeichnis: https://buchvorstellungen.blogspot.com/2020/03/geschichte-und-auswirkungen-der-pest.html
Kurzführer und Entdeckerheft für Kinder
--- https://pest-ausstellung.lwl.org/de/publikationen/
--- https://pest-ausstellung.lwl.org/de/publikationen/
Ergänzendes:
- Der Schwarze Tod in neuem Licht:
Nicht Flöhe, sondern Läuse sollen in Europa die Pest verbreitet habenBetsäule, Halle (Saale) > - wikipedia
(Hermann Feldmeier, NZZ online, 28.03.2023) - Pandemien im Mittelalter und in
der Neuzeit:
https://intra-tagebuch.blogspot.com/2020/03/pandemien-im-mittelalter-und-in-der.html - Stefan Müller: Die Spanische Grippe
(im Spiegel des sozialdemokratischen Vorwärts)
Hg.: Friedrich-Ebert-Stiftung - Seuchenabwehr im Osmanischen Reich
(die Cholera in Arabien) -
Ulrike Freitag (zu ihrem Buch): - A History of Jeddah. The Gate to Mecca in the Nineteenth and Twentieth Centuries. Cambridge University Press 2020, 404 S. (Tagesspiegel, 15.04.2020)
- Totentanz:
https://buchvorstellungen.blogspot.com/2020/03/totentanz-danse-macabre-der-umgang-mit.html
- Volker Reinhardt: DIE MACHT DER SEUCHE -
Wie die Große Pest die Welt veränderte 1347-1353
München: C.H. Beck 2021, 256 S. 25 Abbildungen, 1 Karte
Ausführliche Rezension des Katalogs zur PEST-Ausstellung
Den Herausgebern
und Ausstellungsmachern ist es wichtig gewesen, kompetent und gut verständlich
zu erklären, was die Pest ist, wann sie zum ersten Mal überhaupt auftauchte,
wie sie die Menschen des Mittelaltes heimsuchte, eine Zeit lang im 18.
Jahrhundert verschwand, um kurz vor 1900 noch einmal die Weltgesellschaft in
Angst und Schrecken zu versetzen. Der Katalogband ist neben den Einführungen
und bibliogafischen Hinweisen in zwei Teile aufgeteilt:
Teil I: Essays mit historischen,
medizinischen, religiösen und psychologischen Schwerpunkten. Sie geben auch
die Inhaltsstruktur vor, die sich im Teil
II bei der Präsentation der Exponate
teilweise widerspiegelt.
Teil I: Essays (S.
20–306)
Zuerst beschäftigen sich mehrere
Artikel mit medizinhistorischen, sozialgeschichtlichen und archäologischen
Aspekten der Pest-Geschichte. Den
Einstieg bietet der Beitrag des Medizinhistorikers Kay Peter Jankrift (TU
München):
Vom Pesthauch zu Yersinia pestis. Es ist die Wahrnehmung des Schwarzen Todes als verheerenden Seuche, die schon in der Bibel die Ägypter heimsuchte (Exodus 9,1-7 als Viehpest im Rahmen der 10 Plagen) und die Philister
(1. Samuel 5-6) befiel. Diese biblischen „Vorbilder“ wurden bei den Pestseuchen im Mittelalter als Strafe Gottes gedeutet. Zugleich suchte man nach Sündenböcken. Man fand sie in den „Anderen“, meist den Juden, und verfolgte sie brutal als Brunnenvergifter. Es war nun angesichts der aus der Antike übernommen Medizinkenntnisse, besonders der Viersäftelehre (Blut, Schleim, gelbe und schwarze Galle) nicht möglich, den Pesterreger zu identifizieren. Aber selbst neuere Spekulationen u.a. zum Milzbranderreger als Ursache konnten erst 2011 durch DNA-Proben aus einem mittelalterlichen Londoner Friedhof beseitigt werden. So konnte man nachweisen, dass die mittelalterlichen und modernen DNA-Strukturen der Pest sich kaum unterscheiden. Marcel Keller (Max-Planck-Institut) bleibt bei dieser stärker medizinisch orientierten Thematik, indem er einen kurzen Abriss zu den Fortschritten der Geschichte der Pestforschung im 19./20. Jahrhundert bietet. Er untersucht dazu detailliert den phylogenetischen Stammbaum alter und neuer Genome des Pesterregers Yersinia pestis.
Vom Pesthauch zu Yersinia pestis. Es ist die Wahrnehmung des Schwarzen Todes als verheerenden Seuche, die schon in der Bibel die Ägypter heimsuchte (Exodus 9,1-7 als Viehpest im Rahmen der 10 Plagen) und die Philister
(1. Samuel 5-6) befiel. Diese biblischen „Vorbilder“ wurden bei den Pestseuchen im Mittelalter als Strafe Gottes gedeutet. Zugleich suchte man nach Sündenböcken. Man fand sie in den „Anderen“, meist den Juden, und verfolgte sie brutal als Brunnenvergifter. Es war nun angesichts der aus der Antike übernommen Medizinkenntnisse, besonders der Viersäftelehre (Blut, Schleim, gelbe und schwarze Galle) nicht möglich, den Pesterreger zu identifizieren. Aber selbst neuere Spekulationen u.a. zum Milzbranderreger als Ursache konnten erst 2011 durch DNA-Proben aus einem mittelalterlichen Londoner Friedhof beseitigt werden. So konnte man nachweisen, dass die mittelalterlichen und modernen DNA-Strukturen der Pest sich kaum unterscheiden. Marcel Keller (Max-Planck-Institut) bleibt bei dieser stärker medizinisch orientierten Thematik, indem er einen kurzen Abriss zu den Fortschritten der Geschichte der Pestforschung im 19./20. Jahrhundert bietet. Er untersucht dazu detailliert den phylogenetischen Stammbaum alter und neuer Genome des Pesterregers Yersinia pestis.
Mit dem Rattenfloh kommt der Hauptüberträger der Pest in den Blick, und zwar im Zusammenhang der „Zwischenwirte“,
der Ratten und Katzen (Valeska Becker, Universität
Münster).
Eine der bekanntesten
Pestepidemien der Antike, die sog. Justinanische
Pest und ihre Folgen, beschreibt Frank
Siegmund (Universitäten
Düsseldorf/Münster). 541 n.Chr. brach die Pest in Ägypten aus und verbreitete sich
über
200 Jahre in Wellen im gesamten Mittelmeerraum und im Nahen Osten.
Weitere Infos zur Justinianischen Pest bei Herodote.net >>>
200 Jahre in Wellen im gesamten Mittelmeerraum und im Nahen Osten.
Weitere Infos zur Justinianischen Pest bei Herodote.net >>>
Egänzende Informationen zur Beulenpest im frühmittelalterlichen China kommentiert der
Medizinhistoriker Rudolf Pfister (Basel).
Hier geht es um Hautschwellungen durch größere und kleinere „üble Kerne“, die
in chinesischen Medizinrezepten seit dem 2./3. Jahrhundert bis etwa 1000
beschrieben werden.
Die nun folgenden Artikel
konzentrieren sich stärker auf geschichtliche
Umbrüche und Klimaveränderungen.
Der Mongolensturm im 13. Jahrhundert veränderte
die geopolitische Lage des gesamten Mittleren Ostens und Europas wesentlich. Yasmin Koppen (Ruhr-Universität Bochum)
verweist dabei auf die Tatsache, dass mit dem Eindringen dieser Völker Ostasiens
die chinesische, uigurische und mongolische Medizin, alte schamanische Techniken,
chinesische Wissenschafts-Traditionen und islamische Medizin eine neue Verbindung
eingingen. Man hat sich gefragt, wie die erste große Pestseuche im
Mittelmeerraum unter Kaiser Justinian
(527–565) („Justinianische Pest“) ausgelöst
wurde. Eine Veränderung des Klimas u.a. durch gut bezeugte große Vulkanausbrüche
spielten eine wesentliche Rolle mit dramatischen Auswirkungen (Susanne Brather-Walter , Universität
Freiburg/Br.).
Massenbestattungen in Pestzeiten, Chronik des Gilles li Muisis, um 1350 (Foto: LWL-Herne, Katalog, S. 103 |
Auch Martin Bauch und Annabell Engel (Leibniz-Institut für
Geschichte und Kultur des östlichen Europa, GWZO, Leipzig) gehen den dramatischen klimatischen Veränderungen nach – mit dem Fokus auf
die Jahre um 1340: Nass-kalte Witterung, extreme Regenfälle und
Überschwemmungen, verbunden mit Vulkanausbrüchen haben offensichtlich den
Ausbruch und die schnelle Ausbreitung der Pest begünstigt. So wurde auch die Papstresidenz in Avignon 1348
heimgesucht. Ralf Lützelschwab
(Research Fellow der Huntington Library, San Marino, Kalifornien) zeigt das
kluge politische und seuchenhygienische Vorgehen von Papst Clemens VI. während
der Pestepidemie.
Am Beispiel der
Judenverfolgungen und brutaler Folterungen in Ulm, Augsburg und Straßburg macht
Christian Scholl (Universität
Münster) deutlich, dass im Horizont der Pest auch politische Ziele der
Machtvermehrung bei den regionalen Herrschern bzw. den Administrationen der
großen Städte das Handeln bestimmten.
Ähnliches gilt für Köln, was Tanja Potthoff und Michael Wiehen (Landschaftsverband Rheinland, LVR) im Zusammenhang der zielgerichteten Niederbrennung des jüdischen Viertels dokumentieren. Die Vertreibung der Kölner Juden führte auch dazu, Grabsteine von dort in der Burg Hülchrath (bei Neuss) zu verbauen, so Stefan Leenen (LWL Herne). Auch (jüdische) Schätze und Münzfunde kommen zur Sprache. Sie können – zumindest teilweise –im Zusammenhang der großen Pestepidemien im 14. Jh. gesehen werden: Erfurt, Colmar, Lingenfeld, Münster, Köln (Stefan Kötz, LVR).
Ähnliches gilt für Köln, was Tanja Potthoff und Michael Wiehen (Landschaftsverband Rheinland, LVR) im Zusammenhang der zielgerichteten Niederbrennung des jüdischen Viertels dokumentieren. Die Vertreibung der Kölner Juden führte auch dazu, Grabsteine von dort in der Burg Hülchrath (bei Neuss) zu verbauen, so Stefan Leenen (LWL Herne). Auch (jüdische) Schätze und Münzfunde kommen zur Sprache. Sie können – zumindest teilweise –im Zusammenhang der großen Pestepidemien im 14. Jh. gesehen werden: Erfurt, Colmar, Lingenfeld, Münster, Köln (Stefan Kötz, LVR).
Da die Pest ein
gesamteuropäisches Phänomen war, geht der Blick bei den folgenden Artikeln nach
Osten sowohl ins christliche Byzanz/Konstantinopel
als auch zu den Folgewirkungen für
das Osmanische Reich und seine zur Hauptstadt Konstantinopel, nun Istanbul.
Christof Paulus (Universität München)
zeigt, wie Kaiser Johannes VI. Kantakuzenos, (um 1295-1383, Regierung
1341/1347-1354) zugleich auch Geschichtsschreiber, sein Verhalten während der
Pestepidemien rechtfertigt und praktisch einen sog. Fürstenspiegel anfertigt. Er
verfolgte damit ähnliche politische Intentionen wie sein westlicher Zeitgenosse
Kaiser Karl IV. (1316-1378).
Der Schwarze
Tod traf das aufstrebende Osmanische
Reich erheblich. So musste Sultan
Orhan I. (Regierung 1326 bis 1362) die Schäden und Verluste durch die Pest
verkraften, während er gleichzeitig sein Reich immer weiter nach Westen und
Osten auszudehnen versuchte. Der Autorin Sevgi
Ağcagül (Universität Frankfurt/M.) fällt auf, dass die osmanischen
Chroniken auf die Pest jedoch nur am Rande Bezug nehmen. Auch in der türkischen
Dichtung finden sich nicht sehr viele Texte.
Zurück nach Mitteleuropa:
Die Beschreibung bleibt auf die 2. Hälfte des 14. Jahrhunderts fokussiert, als
in Kärnten 1348 ein Erdbeben im Horizont der Pest die
Region erschütterte. Lisa Glänzer
(Universität Graz) beschreibt, wie der Weltpriester und Naturphilosoph Konrad von Megenberg diese Ereignisse
nach den damaligen naturwissenschaftlichen und medizinischen Erkenntnissen und
eigenen Naturbeobachtungen deutete.
Auch die religiöse
Thematik wird ausführlich im Horizont der Pest angesprochen: Die
mittelalterliche Bevölkerung war von einem tiefen Glauben und apokalyptischen
Endzeitvisionen geprägt. Darum interpretierte man die Heimsuchungen durch die
Pest fast durchgängig als Strafe Gottes, die man durch entsprechende Bußübungen, Gebets- und
Gottesdienst-Rituale abzuwenden suchte. (Anica Schumann, Zentrum für Mittelalterstudien der Universität
Köln) untersucht dazu die mittelhochdeutsche Dichtung sowie Pestberichte und Traktate, die eher distanziert
wirken, im Gegensatz zu Pestsprüchen und Pestgebeten im Sinne von Bußgebeten,
die sich mit Beschwörungsformeln mischen.
Die Ananizapta-Formel als Abwehr gegen die Pest (Foto: LWL-Herne, Katalog, S. 233) Vgl.: Ananizapta-Formel an ehem. Ingolstädter Stadttoren |
Da auch in der
Reformationszeit des 16. Jahrhunderts die Pest alle Gläubigen gleichermaßen
erfasste, ist es interessant, wie der erkrankte Zürcher Reformator Huldrych Zwingli darauf reagierte, nämlich mit
einem Pestlied.
Der Theologe Görge Hasselhoff (TU Dortmund) beschreibt die einzelnen Liedteile;
von der Todesangst bis zur Genesung.
Der Theologe Görge Hasselhoff (TU Dortmund) beschreibt die einzelnen Liedteile;
von der Todesangst bis zur Genesung.
Es folgt ein ausführlicher Essay zum Pestratgeber des angesehenen Arztes Johann Bökel (1535–1609), den Ulf Wendler (Stadtarchiv Chur) als Beispiel
für die Pestschriften der frühen Neuzeit ausführlich kommentiert. Bökel, protestantischer
Glaubensflüchtling aus Antwerpen, studierte u.a. bei Melanchthon und
orientierte sich offensichtlich auch an Luthers Seuchentraktat von 1527. Sein „kurtzer Bericht“, eine praktische
Orientierungshilfe, konnte leicht durch den Druck weiter verbreitet werden.
Seine Intention war, zum Wohle der Bevölkerung die Pest durch
Kontaktminimierung und Quarantäne sowie durch entsprechende Medikamentierung der
Erkrankten zu reduzieren.
Schnabelhaube eines Pestarztes 1650-1750 - Historisches Museum Berlin (Foto: LWL-Herne, Katalog, S. 272 |
Einblattdrucke - Schnabeldoktoren, Haubentyen bei der Pest von Marseille 1720 Unten: Abbildung Nürnberg, um 1720-1730 (Fotos: LWL Herne, S. 273) |
"Schnabeldoktorin" bei einem historischen Stadtrundgang im Stift Gevelsberg (23.10.2021) |
Katharina Wolff (Universität Münster) geht in ihrem Beitrag auf die unterschiedlichen Strategien mittelalterlicher Stadtregierungen ein, mit denen diese die Seuche einzudämmen versuchten.
Dazu dienten die damals bekannten und dafür geeignet erscheinenden Arzneimittel im Stile der antiken Miasmentheorie (= schlechte, krank machende Dämpfe) mit Aderlass und Beulenschneiden. Religiös versuchte man mit Bußwallfahrten der Seuche einzudämmen. Auch den Ursachen ging man intensiv nach, bzw. was oder wen man als Ursache bzw. Verursacher meinte identifizieren zu können: der bereits klassische Vorwurf gegen die Juden als Brunnenvergifter.
In der frühen Neuzeit gingen die Städte teilweise schon anders vor, wie Beispiele aus Süddeutschland zeigen. Die Maßnahmen schwankten zwischen politischer Leugnung der Seuche bis zur konkreten medizinischen Fürsorge unter verbesserten hygienischen Maßnahmen, und schließlich durch von außen durchgesetzte konsequente Einreise- und Ausreiseverbote (Annemarie Kinzelbach, TU München).
London erlebte eine der schlimmsten Pestepidemien 1665 mit rund 100.000
Toten. Die Archäologin Hazel Forsyth
(Gresham College London) zeigt, wie die Vermögenden flohen und die verbliebenen
Bürger weitgehend hoffnungslos auf sich selbst gestellt waren.
Einen kritischen Blick auf die Schnabelmasken der Pestärzte wirft Marion Maria Ruisinger (Universität
Erlangen-Nürnberg), die mehr eine Randerscheinung der Pest waren. Aber diese
Schnabelmasken haben sich durch ihre Form in der medialen Verbreitung auf
Einblattdrucken als publikumswirksam erwiesen.
Die rasant sich ausbreitende Pest von Marseille steht deshalb so im
Fokus, weil sie durch den infizierten blinden Passagier eines Schiffes , der "Grand-Saint-Antoine", im Hafen
ausgelöst wurde (!) – mit Folgewirkungen in ganz Europa. Der Archäologe Michel Goury (Marseille) fasst in diesem
Artikel übersichtlich und anschaulich die dramatischen Ergebnisse seines Buches
zusammen: Un
homme, Un navire, la peste de 1720. Marseille: Laffitte 2013
[= ein Mann, ein Schiff, die Pest von 1720]:
Details zum Buch >>> --- Weiteres: https://fr.wikipedia.org/wiki/Peste_de_Marseille_(1720)
Eine sog. Fleute, ein schlankes Handelsschiff wie die Grand-Saint-Antoine, die 1720
die Pest brachte (Grand-Saint-Antione[navire], wikipedia.fr) |
Details zum Buch >>> --- Weiteres: https://fr.wikipedia.org/wiki/Peste_de_Marseille_(1720)
Annick Riani (Historisches Museum Marseille) diskutiert
diesen Pestausbruch weiter, der sich tragischerweise trotz der Schutzmaßnahmen
der Stadt nicht verhindern ließ. Das geschah, obwohl dank der Erfahrungen mit
den Pestepidemien im 14. Jh. und dann nochmals 1530, 1547, 1580 und 1588
bereits eine Art strenger Gesundheitsbehörde am Hafen von Marseille existierte. Auch städtebauliche
Verbesserungen für die Hygiene im Hafenbereich waren durchgeführt worden.
Ankommende Schiffe mussten einen Gesundheitspass des Herkunftslandes und der Etappenhäfen
vorweisen und wurden registriert. Gab es bei den Angaben in diesen Dokumenten
Zweifel oder Probleme, kam die verdächtige Schiffsbesatzung in Quarantäne. Danach
wurden systematische Reinigungen und Desinfektionen (Räucherungen) durchgeführt.
Ein beeindruckendes Beispiel für die psychologischen
und gesellschaftlichen Veränderungen angesichts einer Seuche ist der berühmte Roman
„Die Pest“ von Albert Camus, den Lars
Banhold (Ruhr-Universität Bochum) im Sinne einer kollektiven Grenzsituation
kommentiert. Vgl.: https://intra-tagebuch.blogspot.com/2020/03/pandemien-im-mittelalter-und-in-der.htm
Am Schluss
des Essayteils erläutern die Ausstellungsmacher mit der berühmten Symbolik
des Totentanzes ihre Intentionen bei der Gestaltung der Ausstellung (Stefanie Dowidat, LWL Herne).
Totentanz aus dem Blockbuch Heidelberg, Ende des 15. Jh. (Foto: LWL Herne, Katalog S. 556) |
Vgl. Thema TOTENTANZ >>>
Im umfassenden Teil II werden die Exponate der Sonderausstellung präsentiert. Es erfolgt zuerst eine thematische Hinführung. Entsprechende Bilder von Kunstwerken, Museumsstücken, Schautafeln, Dokumenten mit ausführlichen und doch übersichtlichen Erläuterungen runden die insgesamt 11 Bereiche mit vier Schwerpunkten ab (S. 310–645):
1. Das Wesen der Pest (Bereich 1).
2.
Vorgeschichte und erste
Pandemie: Antike bis
Frühmittelalter (Bereich 2).
Die zweite Pandemie: 1346 bis 18. Jahrhundert (Bereiche 3-9): Ausbreitung und Erklärungen, Angst und Ventil-Reaktionen, medizinische Möglichkeiten, Einwirken der Religion,
Katastrophenmanagement,
Pesterfahrungen und Erleben der Seuche sowie gesellschaftliche Auswirkungen.
Die zweite Pandemie: 1346 bis 18. Jahrhundert (Bereiche 3-9): Ausbreitung und Erklärungen, Angst und Ventil-Reaktionen, medizinische Möglichkeiten, Einwirken der Religion,
Katastrophenmanagement,
Pesterfahrungen und Erleben der Seuche sowie gesellschaftliche Auswirkungen.
3.
Dritte Pandemie (Bereich 10): 19./20. Jahrhundert.
4. Erinnerungen
(Bereich 11): Plakate, Dokumente, Skulpturen, Mahnmale, Rituale, Postkarten,
Kunst und Literatur.
Wie im Essayteil werden die medizinhistorischen,
sozialgeschichtlichen, kulturhistorischen und politischen Gesichtspunkte
hervorgehoben. Beim Schwerpunkt der zweiten Pandemie zwischen 1347 bis ins 18.
Jahrhundert kommen stärker anthropologische, psychologische und religiöse
Gesichtspunkte zur Sprache bzw. ins Bild. In diesem Horizont gibt es dann am
Schluss einen Blick auf Erinnerungsstücke und künstlerische Reaktionen aus
allen Epochen, die im kollektiven Gedächtnis gespeichert sind und in bestimmten
dramatischen Situationen und beim Auftreten neuer Epidemien wieder Aktualität
gewinnen.
Resümee: Die Geschichte der Pest als mahnende Lektion für gesellschaftliche
Bedrohungen
Es lohnt sich, diesen schwergewichtigen und opulenten
Band zum einen wegen des vorzüglich aufbereiteten Bildmaterials zur Geschichte
der Pest, genauer zu lesen und zu betrachten. Zum anderen ist er eine
Einladung, sich ausführlicher mit dem Entstehen, der Verbreitung und Eindämmung
einer Seuche am Beispiel des Schwarzen Todes zu beschäftigen. Hier wird nämlich
deutlich, auf welche Weise die verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen ineinandergreifen
(müssen): die bedeutenden Fortschritte der Medizin, die Erkenntnisse zu geschichtlichen,
klimatischen und politisch gesteuerten
Zusammenhängen, die Wirkungen massenpsychologischer Phänomen und
schließlich die ambivalente Rolle der Religion als organisatorische und
theologische Macht sowie ihre Angst- und Ermutigungskonzepte für die Gläubigen.
Der Essayteil bietet dazu exzellent aufbereitete Studien, die nicht nur für
Fachleute, sondern auch für die interessierten Laien aufschlussreich sein
dürften. Denn durch die Geschichte hindurch lassen sich Grundmuster
menschlichen Verhaltens zwischen Leugnung, Vorsicht, Schuldzuweisungen und
Panik angesichts einer Seuche zeigen. Die immer noch auftretende Cholera, die
Malaria- und Ebola-Epidemien, die HIV-Infektionen, die (spanische) Grippe und die
SARS-Viren bis hin zum Coronavirus (SARS-CoV-2) Alarmsignale für jede
Gesellschaft. Grenzen rasant überscheitende Epidemien zeigen, wie leicht unser
sozialer Zusammenhalt angesichts globaler Bedrohung erschüttert und gefährdet
werden kann. Dieses Pest-Katalogbuch ist darum von bleibender Aktualität !
Das "Wurmeck" am Münchener Rathaus (Foto: LWL Herne, S. 638) |
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