Tomáš Halík: Ich will, dass du bist.
Über den Gott der Liebe
Aus dem Tschechischen
von Markéta Barth, Benedikt Barth
Freiburg u.a.: Herder 2019, 288 S.
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Tomas Halik ist Professor für Soziologie und Pfarrer der
Akademischen Gemeinde Prag. 1978 wurde er heimlich zum Priester geweiht und war
Mitarbeiter von Kardinal Tomasek und Vaclav Havel. Papst Benedikt XVI. verlieh
ihm den Ehrentitel päpstlicher Prälat.
Schon seine Vita zeigt seine Position an der Bruchstelle
zwischen kommunistischem System und Christentum. So geht es ihm in dem
vorliegenden Band einerseits um die philosophisch-theologische Frage nach dem
Ursprung des Guten und der Liebe und andererseits um eine „Diagnose unserer
Zeit“ (22). Im Rückblick auf die Geschichte des Abendlandes sieht er dabei die
Identität Europas abhängig von der „dynamischen Kompatibilität zwischen den
zwei europäischen Traditionen“ (22) der christlichen und der
„säkular-humanistischen“, wobei er die letztere in einen „laizistischen
Humanismus“ und ein „Neu-Heidentum“ (ebd.) differenziert.
In gegenseitiger Ergänzung bei gleichzeitigem Bewusstsein
ihrer Unterschiede könnten beide Konzepte die Zukunft Europas gewährleisten,
indem sie Wege aufzeigen für die Realisierung des Guten in der Welt.
Ausgehend von der christlichen Tradition beschränkt sich
der Autor auf zwei grundlegende Aspekte, nämlich die „Liebe zu Gott“ und die
„Liebe zu den Feinden“ und verbindet darin einerseits Altes und Neues Testament,
konstatiert aber andererseits deren bleibende Aktualität für die Beziehung des
Menschen zu sich selbst und zur Welt.
So sei in dem Gebot der „Liebe zu Gott“ zugleich die
Frage nach dem „liebenden Gott“ und seiner Erfahrbarkeit enthalten, wie es ja
auch der Untertitel des Buches vorgibt. Angesichts eines oft fernen und
rätselhaften Gottes gehe es dabei vornehmlich um die Haltung des Menschen, um
sich ihm zu öffnen und ihn in die eigene Wirklichkeit einzulassen. Am Beispiel
der alttestamentarischen Geschichte des geforderten Sohnesopfers Abrahams, aber
auch des Kreuzestodes Christi zeigt der Autor auf, dass es in Glaubenskrisen
der Geduld und der Hoffnung bedarf, um nach der zunächst unverständlich
erscheinenden Härte Gottes auf die zweite erlösende Antwort zu warten. Diese
zeigt sich im Beispiel Abrahams in der Aufhebung des Opfergebots durch den
Engel, im Kreuzestod Christi in der Auferstehung.
Ähnlich können Erfahrungen des schweigenden und
verborgenen Gottes auf der Suche nach dessen Transzendenz in die Begegnung mit
der Immanenz Gottes in der Tiefe der eigenen Seele oder des eigenen Herzens
führen, um dort , wie die Mystiker, etwa Meister Eckhart, es beschreiben, den
„inneren“ Gott jenseits aller Vorstellungen zu finden.
Unabhängig von allen rationalen Gottesbeweisen gilt hier
die Entscheidung des Augustinus „ich will, dass du bist“, die der Sehnsucht des
Herzens nach Gott folgt.
Prüfstein der Echtheit der Liebe zu Gott sei aber Jesu
Gebot der Liebe zum Nächsten. Indem beide Gebote zusammengehörten, gehe das
Christentum über eine bloßen Humanismus hinaus, wie ihn etwa Feuerbach in der
Verkehrung der Theologie zur Anthropologie in einen „modernen Humanismus“
begründete, den später auch die kommunistischen Systeme in ähnlicher Form
propagierten. Der Versuch der Heilung der Entfremdung des Menschen durch
Rücknahme seiner auf ein “objektivistisches“ Gottesbild projizierten
Idealvorstellungen gerate eher zu einer Vergöttlichung des Menschen und in der
Absolutsetzung des Relativen gegebenen „Gottesvergiftung“ als zu dem
angestrebten “Paradies“ auf Erden in einer philanthropischen Gemeinschaft.
Demgegenüber sieht der Autor in der dialogischen
Philosophie Bubers und Levinas eine Möglichkeit Gott im Nächsten, im „Du“ zu
entdecken. Aus einem solchen „integralen Humanismus“ (135) ergebe sich die
Verantwortung für den Anderen und damit die „Grundbedingung für die Existenz
des Guten in der Welt“ (ebd.). Die Begegnung mit dem transzendenten Gott finde
so in der grenzüberschreitenden Liebe statt, die dem „Du“ den Vorrang vor dem
„Ich“ einräumt. Hier kann auch der Anschluss an das Christentum, etwa an die“
Bergpredigt“ Jesu gefunden werden oder in radikalisierter Form an das Gebot der
„Feindesliebe“, das sich an der „Vollkommenheit“ und „Barmherzigkeit“ Gottes
orientiert.
Zur Präzisierung dieses Begriffs und seiner aktuellen
gesellschaftlichen Relevanz grenzt der Autor diesen einerseits gegen das
östliche Konzept des „Mitleids“ im Buddhismus ab, andererseits gegenüber der
Forderung der „Toleranz“ in der westlichen Gesellschaft. Dabei sei die
Rezeption des Buddhismus in Europa um die Wende des 19./20. Jahrhunderts durch
die Reformbestrebungen und den „angelsächsischen liberalen
Protestantismus“(173) im christlichen Sinne geprägt, während das aufklärerische
Konzept der „Toleranz“ eher zum Erdulden der Andersartigkeit im ungestörten
Nebeneinander als zu einer Gemeinschaft gegenseitiger Wertschätzung führe.
Demgegenüber erfordere das Gebot der „Feindesliebe“ eine
tiefgreifende Veränderung der eigenen Person durch einen „lebenslangen Prozess
der Umkehr“ (189), der auch die individuellen Schattenseiten integriert und zur
Vergebung aufruft.
Nicht in der Isolation, so das Fazit, könne das
Christentum aber politisch wirksam werden, sondern nur im Dialog mit dem
„säkularen Humanismus“ für „Menschrechte, soziale Gerechtigkeit und
Solidarität“(240) eintreten, wie in der Solidarnosz-Bewegung durch Papst
Johannes Paul II.
Bei der Suche nach Spiritualität in einer rationalistisch
ausgerichteten Kultur könne das Christentum zudem auf die Tradition der Mystik
zurückgreifen, um Tendenzen vor- und außerchristlicher Religiosität, die der
Autor als “Neuheidentum“ bezeichnet, einzubinden in „eine überkonfessionelle
und interreligiöse Allianz der kontemplativen Menschen“(240/41).
Durch solch eine „Kultur der Kommunikation“ (246) könne
sowohl einer fundamentalistischen Ausrichtung des Christentums als auch einer
politischen Ideologisierung vorgebeugt werden.
In einer Zeit, in der der „Tod Gottes“ durch Verschweigen
praktiziert würde, könne jener hingegen in der „Tiefe“ der Wirklichkeit und der
Lebenserfahrungen gefunden werden als Verbindung der Gegensätze in der Liebe.
Eine solche Einheit sei aber nicht statisch, sondern Bewegung, sei „Tanz“ der
sich gegenseitig durchdringenden Elemente.
So sieht der Autor dies zum einen in der Trinität der
göttlichen Natur in der wechselseitigen Durchdringung von Göttlichkeit und
Menschlichkeit in Christus und dem heiligen Geist gegeben, zum anderen aber in
deren Widerspiegelung im irdischen Leben in den Tugenden von „Glaube, Hoffnung
und Liebe“, zu denen sich der Mensch als göttliches Geschenk frei entscheiden
müsse.
In Anspielung an Nietzsche, der den „Tod Gottes“
proklamierte, aber nur an einen Gott glauben mochte, „der zu tanzen verstünde“
(S. 269), sieht Halik diesen Tanz jedoch nicht als dionysisches Bacchanal,
sondern als Ausfluss der Liebe, in der sich „Himmel und Erde“, „Göttliches und
„Menschliches“ (270) durchdringen und deren Wirken sich so in die Ewigkeit
hinein fortsetzt.
Bilanz:
Angesichts der aufdringlichen Dominanz des Bösen in der Welt, so sagt der Autor in seinem Vorwort, könne er keine eindeutige, überzeugende Antwort darauf geben, woher das "Sanfte und Gute" (Zitat Gottfried Benn, S. 9) komme, sondern er wolle die Lesenden nur zu einem "Reisebericht" einladen,
um mit ihm/ihr den Quellen des Guten und der Liebe nachzuspüren.
So fällt dieser Bericht durchaus essayistisch aus und fordert die Lesenden mehr zu Fragen als zu Antworten heraus, damit jene wie der Autor als ein "Gläubig Ungläubiger" bereit seien, seinem Weg zu folgen.
Darin aber liegt zugleich der Reiz und die Inspiration dieses Buches, das die Leserinnen und Leser durch die Zeitläufte hindurch auch die eigene Situation befragen lässt.
Dr. Eva Wolff-Maurmann,
Dortmund
Lizenz: CC
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