Montag, 8. März 2021

Tomáš Halík: Über das Wesen der Liebe im Horizont eines liebenden Gottes

Tomáš Halík: Ich will, dass du bist.
Über
den Gott der Liebe
 
Aus dem Tschechischen
von 
Markéta Barth, Benedikt Barth
Freiburg u.a.: Herder 2019, 288 S.

  • ISBN: 978-3-451-03212-7

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Tomas Halik ist Professor für Soziologie und Pfarrer der Akademischen Gemeinde Prag. 1978 wurde er heimlich zum Priester geweiht und war Mitarbeiter von Kardinal Tomasek und Vaclav Havel. Papst Benedikt XVI. verlieh ihm den Ehrentitel päpstlicher Prälat.

Schon seine Vita zeigt seine Position an der Bruchstelle zwischen kommunistischem System und Christentum. So geht es ihm in dem vorliegenden Band einerseits um die philosophisch-theologische Frage nach dem Ursprung des Guten und der Liebe und andererseits um eine „Diagnose unserer Zeit“ (22). Im Rückblick auf die Geschichte des Abendlandes sieht er dabei die Identität Europas abhängig von der „dynamischen Kompatibilität zwischen den zwei europäischen Traditionen“ (22) der christlichen und der „säkular-humanistischen“, wobei er die letztere in einen „laizistischen Humanismus“ und ein „Neu-Heidentum“ (ebd.) differenziert.

In gegenseitiger Ergänzung bei gleichzeitigem Bewusstsein ihrer Unterschiede könnten beide Konzepte die Zukunft Europas gewährleisten, indem sie Wege aufzeigen für die Realisierung des Guten in der Welt.

Ausgehend von der christlichen Tradition beschränkt sich der Autor auf zwei grundlegende Aspekte, nämlich die „Liebe zu Gott“ und die „Liebe zu den Feinden“ und verbindet darin einerseits Altes und Neues Testament, konstatiert aber andererseits deren bleibende Aktualität für die Beziehung des Menschen zu sich selbst und zur Welt.

So sei in dem Gebot der „Liebe zu Gott“ zugleich die Frage nach dem „liebenden Gott“ und seiner Erfahrbarkeit enthalten, wie es ja auch der Untertitel des Buches vorgibt. Angesichts eines oft fernen und rätselhaften Gottes gehe es dabei vornehmlich um die Haltung des Menschen, um sich ihm zu öffnen und ihn in die eigene Wirklichkeit einzulassen. Am Beispiel der alttestamentarischen Geschichte des geforderten Sohnesopfers Abrahams, aber auch des Kreuzestodes Christi zeigt der Autor auf, dass es in Glaubenskrisen der Geduld und der Hoffnung bedarf, um nach der zunächst unverständlich erscheinenden Härte Gottes auf die zweite erlösende Antwort zu warten. Diese zeigt sich im Beispiel Abrahams in der Aufhebung des Opfergebots durch den Engel, im Kreuzestod Christi in der Auferstehung.

Ähnlich können Erfahrungen des schweigenden und verborgenen Gottes auf der Suche nach dessen Transzendenz in die Begegnung mit der Immanenz Gottes in der Tiefe der eigenen Seele oder des eigenen Herzens führen, um dort , wie die Mystiker, etwa Meister Eckhart, es beschreiben, den „inneren“ Gott jenseits aller Vorstellungen zu finden.

Unabhängig von allen rationalen Gottesbeweisen gilt hier die Entscheidung des Augustinus „ich will, dass du bist“, die der Sehnsucht des Herzens nach Gott folgt.

Prüfstein der Echtheit der Liebe zu Gott sei aber Jesu Gebot der Liebe zum Nächsten. Indem beide Gebote zusammengehörten, gehe das Christentum über eine bloßen Humanismus hinaus, wie ihn etwa Feuerbach in der Verkehrung der Theologie zur Anthropologie in einen „modernen Humanismus“ begründete, den später auch die kommunistischen Systeme in ähnlicher Form propagierten. Der Versuch der Heilung der Entfremdung des Menschen durch Rücknahme seiner auf ein “objektivistisches“ Gottesbild projizierten Idealvorstellungen gerate eher zu einer Vergöttlichung des Menschen und in der Absolutsetzung des Relativen gegebenen „Gottesvergiftung“ als zu dem angestrebten “Paradies“ auf Erden in einer philanthropischen Gemeinschaft.

Demgegenüber sieht der Autor in der dialogischen Philosophie Bubers und Levinas eine Möglichkeit Gott im Nächsten, im „Du“ zu entdecken. Aus einem solchen „integralen Humanismus“ (135) ergebe sich die Verantwortung für den Anderen und damit die „Grundbedingung für die Existenz des Guten in der Welt“ (ebd.). Die Begegnung mit dem transzendenten Gott finde so in der grenzüberschreitenden Liebe statt, die dem „Du“ den Vorrang vor dem „Ich“ einräumt. Hier kann auch der Anschluss an das Christentum, etwa an die“ Bergpredigt“ Jesu gefunden werden oder in radikalisierter Form an das Gebot der „Feindesliebe“, das sich an der „Vollkommenheit“ und „Barmherzigkeit“ Gottes orientiert.

Zur Präzisierung dieses Begriffs und seiner aktuellen gesellschaftlichen Relevanz grenzt der Autor diesen einerseits gegen das östliche Konzept des „Mitleids“ im Buddhismus ab, andererseits gegenüber der Forderung der „Toleranz“ in der westlichen Gesellschaft. Dabei sei die Rezeption des Buddhismus in Europa um die Wende des 19./20. Jahrhunderts durch die Reformbestrebungen und den „angelsächsischen liberalen Protestantismus“(173) im christlichen Sinne geprägt, während das aufklärerische Konzept der „Toleranz“ eher zum Erdulden der Andersartigkeit im ungestörten Nebeneinander als zu einer Gemeinschaft gegenseitiger Wertschätzung führe.

Demgegenüber erfordere das Gebot der „Feindesliebe“ eine tiefgreifende Veränderung der eigenen Person durch einen „lebenslangen Prozess der Umkehr“ (189), der auch die individuellen Schattenseiten integriert und zur Vergebung aufruft.

Nicht in der Isolation, so das Fazit, könne das Christentum aber politisch wirksam werden, sondern nur im Dialog mit dem „säkularen Humanismus“ für „Menschrechte, soziale Gerechtigkeit und Solidarität“(240) eintreten, wie in der Solidarnosz-Bewegung durch Papst Johannes Paul II.

Bei der Suche nach Spiritualität in einer rationalistisch ausgerichteten Kultur könne das Christentum zudem auf die Tradition der Mystik zurückgreifen, um Tendenzen vor- und außerchristlicher Religiosität, die der Autor als “Neuheidentum“ bezeichnet, einzubinden in „eine überkonfessionelle und interreligiöse Allianz der kontemplativen Menschen“(240/41).

Durch solch eine „Kultur der Kommunikation“ (246) könne sowohl einer fundamentalistischen Ausrichtung des Christentums als auch einer politischen Ideologisierung vorgebeugt werden.

In einer Zeit, in der der „Tod Gottes“ durch Verschweigen praktiziert würde, könne jener hingegen in der „Tiefe“ der Wirklichkeit und der Lebenserfahrungen gefunden werden als Verbindung der Gegensätze in der Liebe. Eine solche Einheit sei aber nicht statisch, sondern Bewegung, sei „Tanz“ der sich gegenseitig durchdringenden Elemente.

So sieht der Autor dies zum einen in der Trinität der göttlichen Natur in der wechselseitigen Durchdringung von Göttlichkeit und Menschlichkeit in Christus und dem heiligen Geist gegeben, zum anderen aber in deren Widerspiegelung im irdischen Leben in den Tugenden von „Glaube, Hoffnung und Liebe“, zu denen sich der Mensch als göttliches Geschenk frei entscheiden müsse.

In Anspielung an Nietzsche, der den „Tod Gottes“ proklamierte, aber nur an einen Gott glauben mochte, „der zu tanzen verstünde“ (S. 269), sieht Halik diesen Tanz jedoch nicht als dionysisches Bacchanal, sondern als Ausfluss der Liebe, in der sich „Himmel und Erde“, „Göttliches und „Menschliches“ (270) durchdringen und deren Wirken sich so in die Ewigkeit hinein fortsetzt.

Bilanz:
Angesichts der aufdringlichen Dominanz des Bösen in der Welt, so sagt der Autor in seinem Vorwort, könne er keine eindeutige, überzeugende Antwort darauf geben, woher das "Sanfte und Gute" (Zitat Gottfried Benn, S. 9) komme, sondern er wolle die Lesenden nur zu einem "Reisebericht" einladen,
um mit ihm/ihr den Quellen des Guten und der Liebe nachzuspüren.
So fällt dieser Bericht durchaus essayistisch aus und fordert die Lesenden mehr zu Fragen als zu Antworten heraus, damit jene wie der Autor als ein "Gläubig Ungläubiger" bereit seien, seinem Weg zu folgen.
Darin aber liegt zugleich der Reiz und die Inspiration dieses Buches, das die Leserinnen und Leser durch die Zeitläufte hindurch auch die eigene Situation befragen lässt.

Dr. Eva Wolff-Maurmann, Dortmund

Lizenz: CC 


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