Sonntag, 28. Oktober 2012

Begegnung mit dem Islam als Lebensaufgabe: Christliche Theologen berichten

Der Theologe und Islamwissenschaftler Christian W. Troll SJ hat zusammen mit dem englischen Redemptoristen und Islam-Spezialisten C.T.R. Hewer im Verlag der Fordham-Jesuiten-Universität in New York einen Sammelband herausgegeben, der das beeindruckende Engagement christlicher Theologen für eine respektvolle und freundschaftliche Begegnung mit dem Islam zum Ausdruck bringt:

Christian W. Troll / C.T.R. Hewer (eds.):
Christian Lives Given To The Stuy of Islam
New York: Fordham University Press 2012

Eine ausführliche Leseprobe: hier

Hier tauchen u.a. bekannte und bedeutende Namen auf, die Bahnbrechendes für die Förderung des christlich-islamischen Dialogs auf Weltebene bewirkt haben :
Kenneth Cragg, Maurice Borrmans, A.R. Crollius, Michael J. Fitzgerald, David B. Burrell, Jean-Marie Gaudeul, Christopher Lamp, Thomas Michel, Emilio Platti

Auch das langjährige Mitglied der Interreligiösen Arbeitsstelle (INTR°A), der reformierte Theologe und intensive Pakistankenner Jan Slomp hat für diesen Band einen interessanten Beitrag geschrieben:
A Life between Church and Islam: Seeking True Discernment
(Dieser Artikel  kann in voller Länge gelesen werden, s.o. Leseprobe)

Zu diesem Thema hatte Jan Slomp übrigens auch in der Reihe
Religionen im Gespräch
Bd. 7 (RIG 7), 2002, S. 382-386
einen Beitrag geschrieben: Christian and Muslims in the British Commonwealth

Samstag, 27. Oktober 2012

Der Moderator und der Tod



Jürgen Domian:  Interview mit dem Tod.
Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2012, 4. Aufl., 174 S.
ISBN 978-3-579-06574-8


Ausführliche Besprechung
Der Journalist Jürgen Domian (geb. 1957) ist durch seine „Telefon-Nächte“, die er im Studio mit Anrufern verbrachte, im Grunde zum Radio-Seelsorger geworden. Durch diese in die Tausende gehenden Gespräche seit 1995 ist er sehr bekannt geworden, besonders über den WDR-Hörfunk 1 LIVE. Aber nun erfolgt eine Zwischenbilanz zu den oft noch als Tabu behandelten Krankheit, Schmerzen, Sterben, Tod, Sterbehilfe. Er nennt dies ein Interview mit dem Tod, das er meinte führen zu müssen, nachdem er seinen sterbenden Vater auf die Palliativstation eines Krankenhauses begleitet hatte. 
„Zwanzigtausend Interviewpartner also. Vom Mörder bis zum Lottomillionär. Vom Show-Star bis zum Obdachlosen. Vom Priester bis zum Satanisten. Mit einem allerdings habe ich noch nicht gesprochen. Er fehlt bisher in der langen Reihe meiner Talkgäste ... Er hat tausend Gesichter, aber nur eine Aufgabe … Er ist äußerst fleißig und schläft nie. Einen besonderen Namen hat er nicht, aber es gibt einige, die nennen ihn einen Meister aus Deutschland, andere sagen einfach Schnitter oder Gevatter zu ihm. Es ist der Tod selbst. Mit ihm habe ich noch nie gesprochen. Nun ist es Zeit dies zu tun“ (S. 11).


Beim Lesen eröffnen sich auch die biografischen Schritte des Medienmannes. Sie führten ihn aus einer konservativ christlichen Phase zur Ablehnung alles Religiösen und in einen konsequenten Atheismus. Dieser trug allerdings wiederum Züge von Glaubensüberzeugungen, die er in ihrer Problematik zuerst nicht wahrnahm. Erst die nicht abzuweisenden Fragen von Sterben, Tod und möglichen Jenseits zwangen ihn umzudenken. Die Suche ging über philosophische Deutungen von der Antike bis in die Moderne, ohne dass Domian wirklich befriedigende Antworten gefunden hätte. Aber bei diesen philosophischen Begegnungen tauchten auch immer wieder Mystiker der verschiedenen Religionen auf, die offensichtlich Denken und Grenzerfahrungen so zur Sprache bringen konnten und können, dass ein Wegweiser zum Umgang mit dem Tod auftauchte. Und Domian, der seine Angst vor dem Tod offen zugibt, geht verstärkt auf Friedhöfe ...
Wenn man genau liest, so enthüllt sich das Gespräch mit dem Tod als eine Aufforderung zum Leben – hier und jetzt. Wirklichkeit in ihrer Banalität wird dabei zur Illusion, wie es die Buddhisten immer schon behaupten:
Aus dem Interview (die Anfragen Domians sind kursiv gesetzt, S. 62-63):
--- Aber jeder wünscht sich doch, nicht vergessen zu werden.
Ein unsinniger Wunsch. Alles Irdische wird von der Ewigkeit fortgeweht.
--- Alles? Auch die ganz großen geistigen und künstlerischen Leistungen der Menschheit?
Ja. Endet das Universum, so bleibt nichts. …
Um zu verstehen, musst du lernen, deine Ratio zu verlassen.
--- Wie lernt man das?
Versuche dich deiner Worte zu entledigen, entleere deine Gedanken.
--- Aber was bleibt dann?
Die Leerheit … Überwindung des Ich-Bewusstseins. Nur so wirst du das Nichts schauen können.
--- In das Nichts? Also in die absolute Wirklichkeit?
Ja.
Und in diesem Nichts, in einem die Zeit überwindenden Schweigen, liegt die tiefste Gotteserfahrung. Der Mystiker Heinrich Seuse (1295 bzw. 1296 – 1366) hat es bereits so ähnlich gesagt.
Im Durchgang durch das Buch ergeben sich Erkenntnisse wie Perlen an einer Schnur, so dass sich am Ende die unterschiedlichen Facetten zu einer Art Bilanz entwickeln. Das Interview mit dem Tod verändert Domians Sichtweise völlig: Wirklichkeit hat noch andere als die alltäglichen Dimensionen. Dabei bleiben viele Fragen offen. So gibt es für die Fragen zum Sinn des Leidens letztlich keine Antwort, aber Beruhigung: Das Leiden „ist weder Strafe noch eine Prüfung. Das Sterben, auch das leidvolle Sterben, ist Teil einer für Menschen nie zu begreifenden komplexen Zusammenhangs, der weit über die Welt hinausgeht“ (S. 131)
Dies ist kein systematisches Buch, sondern es sind Erfahrungsbruchstücke, die ein autobiografisches Mosaik ergeben. Die Gesprächsprotokolle seines fiktiven Interviews mit dem Tod sind in nachdenklich machende Anmerkungen eingebunden. Und nach all den vielen Interviewpartnern also nun endlich der entscheidende Schritt, nämlich die Sinn-Fragen von der Sterblichkeit des Menschen anzugehen. Man muss Domian keineswegs in allem zustimmen, gerade was auch die aktive Sterbehilfe betrifft. Bei allen auch herausfordernden Formulierungen Domians erscheint der Tod keineswegs unmenschlich, dies zeigen seine respektvollen Beschreibungen zu Sterbehospizen und zur Palliativmedizin. Diese erzählten Begegnungen mit dem Tod, in die die Lesenden hineingezogen werden, bewegen bis ins Innerste. So ist das Buch auch eine Einladung, die eigenen Sinne „für die Mysterien der Welt [zu] schärfen“ (S. 152) – Ewigkeit in der Zeit und jenseits der Bedingungen von Zeit. Es wäre zu wünschen, dass gerade junge Leute sich auf diese Existenzfragen  einlassen, um dadurch ihre Zukunft glücklicher zu leben.
Reinhard Kirste
Rz-Domian-Tod, 26.10.12

Sonntag, 7. Oktober 2012

Spirituelle Oase im Shopping-Center Sihlcity, Zürich



Jakob Vetsch: Neunundneunzig Rastworte aus Sihlcity.
Edition Occidente.
        
München: Books Ex Oriente 2012, 132 S., Abb.
--- ISBN 978-3-9815153-2-9 ---


Kurzrezension: hier

Ausführliche Besprechung
Der seit 1999 existierende kleine Verlag „Books Ex Oriente“ in München hat im Jahre 2009 damit begonnen, Schriften und Werke zu Kultur, Religion und Philosophie des Orients herauszubringen. Axel Monte, der Verlagsleiter und zugleich Herausgeber vergaß dabei nicht, den Westen mit der „Edition Occidente“ in den Blick zu nehmen.
Eine kleine Besonderheit in diesem Rahmen ist das jüngst erschienene Bändchen, das einen spirituellen Einblick nach Sihlcity ermöglicht. Kaum eine/r außerhalb Zürichs wird viel über diesen Ort wissen, der auf einem Gelände der ehemaligen Papierfabrik Sihl als Shopping- und Wellness-Zentrum entstand --- Internet: http://sihlcity.ch/de/
Hier befindet sich neben dem alten Schornstein auch ein spiritueller Ort, ein Rastplatz für die hastende Seele, eine interreligiös offene Citykirche. In der Sprache des Business ist es ein Service-Center der besonderen Art, ganztägig geöffnet wie die Geschäfte mit ihrer Kommerz-Atmosphäre. Diese Oase wird von den christlichen Kirchen Zürichs getragen und bietet Möglichkeiten zum Ausspannen, zum Gespräch, zur Seelsorge und zur Stille. Sie wird gern von Nichtchristen (gerade auch Musliminnen) für die innere Einkehr und das Gebet wahrgenommen --- Internet:
http://www.sihlcity-kirche.ch/.
Der dort seit 2007 wirkende Pfarrer, der Autor dieses Bändchens, hat sich noch etwas Besonderes zum Lesen in der Kapelle einfallen lassen: Rastworte der Woche – ein Spruch und eine kurze aktualisierende Auslegung dazu.
Hier ein Beispiel mit einem Wort von Margret Mead (1901-1978), der berühmten amerikanischen Anthropologin: „Beten ist eine gute Sache. Es braucht keine technische Energie, es zehrt nicht an den Rohstoffen der Erde, es verschmutzt nicht Luft noch Wasser – gerade so wie das Singen, das Lieben und das Tanzen“. Dann wird die kleine Geschichte eines Mannes aus Neuguinea erzählt, der weder lesen noch schreiben konnte. Er verharrte nach dem Gottesdienst immer sehr lange auf dem Balken, der als Kniebank diente. Schließlich fragte ihn der Missionar, was er dort immer so lange täte. Die Antwort: „Ich halte meine Seele in die Sonne“ (S. 56). Darum geht es: Innehalten, sein Herz auf Gott  ausrichten …
Man kann sich diese Gedankensplitter mit nach Hause nehmen.
Sie sind als PDF-Datei auch im Internet abrufbar:
http://www.sihlcity-kirche.ch/index.php?option=com_content&task=view&id=12&Itemid=26
Was das Team um den Pfarrer Jakob Vetsch bewegt, kommt in einem Gespräch zum Vorschein, das der Herausgeber Axel Monte mit dem Pfarrer in der Spannbreite von Konsum, religiöser Pluralität und Spiritualität führte. Die Kirche war – so erzählt die Bibel – „schon immer an den Wegen und Märkten“ (S. 125). Deswegen stellt sich das kirchliche Angebot als „kleines, reales Modell des Friedens unter den Religionen“ im Sinne von Hans Küng vor (S. 126). Die Übungen und Riten der anderen Religionen können darum das eigene Leben spirituell bereichern im Sinne des Mottos der Sihlcity-Kirche: „Halt machen, Halt finden“.
Übrigens: das hier besprochene Buch wird in Sihlcity am 15.10.2012 vorgestellt.
Die aus der Fülle der Rastworte ausgewählten Texte zusammen mit einem Blick auf die Homepage der Sihlcity-Kirche signalisieren sehr deutlich: Hier ist ein besonderer spiritueller Ort im Getriebe von Kauf und Verkauf entstanden, ein kontemplativer Lernort der besonderen Art. Es lohnt sich, dort zu verweilen.
--- Weitere Informationen zum Verlag „Books Ex Oriente“:
    
http://www.books-ex-oriente.com/index.html          
--- Besprechung der Heftreihen "Ex Oriente" und "Ex Occidente":
     http://www.rpi-virtuell.net/workspace/24686AD5-936C-476D-9EA0-65E2968590C8/rezensionen/rz-monte.pdf
Reinhard Kirste
Rz-Vetsch-Sihlcity, 07.10.2012

Dienstag, 2. Oktober 2012

Religiöser Pluralismus als Herausforderung und Chance



Karl Gabriel / Christian Spieß /
Katja Winkler (Hg.):
Modelle des religiösen Pluralismus.
 
Historische, religionssoziologische und religionspolitische Perspektiven 

Katholizismus zwischen
Religionsfreiheit und Gewalt, Bd. 5

Paderborn u.a.: Schöningh 2012, 364 S.
--- ISBN 978-3-506-77407-1 ---



InterReligiöse Bibliothek (IRB):
Buch des Monats Oktober 2012


Kurzrezension hier


Ausführliche Beschreibung


Multikulturalität und Multireligiosität sind Signalwörter für die Gesellschaft der Moderne, die nicht nur von der Vielfalt der Kulturen, sondern auch von religiösem Pluralismus geprägt ist. Neben den klassischen Glaubensformulierungen der großen christlichen Kirchen, sind Bekenntnisse zu anderen Religionen teilweise in Konkurrenz getreten. Diese veränderten Lebensstile werden nicht selten als „Patchwork-Religiosität“ abgewertet, weil es sich um stark individualisierte Glaubenstypen handelt. 
Der hier vorzustellende Titel gehört in die Reihe „Katholizismus zwischen Religionsfreiheit und Gewalt“. 
Die Herausgeber zeichnen mit diesen Bänden eine Linie religiöser und dogmatischer Veränderungen im Katholizismus auf, die nicht nur Europa bzw. den „Westen“ betreffen:
  • Religionsfreiheit und Pluralismus. 
    Entwicklungslinien eines katholischen Lernprozesses (Bd. 1, 2010)
  • Wie fand der Katholizismus zur Religionsfreiheit (in Vorbereitung)
  • Religion – Gewalt – Terrorismus. 
    Religionssoziologische und ethische Analysen (Bd. 3, 2010)
  • Die Anerkennung der Religionsfreiheit auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil (Bd. 4, 2012).
Bei der Darstellung der im vorliegenden 5. Band angesprochenen Modelle des religiösen Pluralismus kommt ein großer Teil der Beiträger/innen vom Münsteraner Exzellenzcluster „Religion und Politik“. Die pluralistischen Entwicklungen und religionssoziologischen Erkenntnisse werden hier auf die Religionsgemeinschaften und ihre gesellschaftlichen Lernprozesse ausgeweitet. Dies geschieht unter historischen, soziologischen, politikwissenschaftlichen, rechtswissenschaftlichen und sozialethischen Gesichtspunkten: Es ist übrigens auch der endlich erfolgreiche Weg des Katholizismus zur Anerkennung der Religionsfreiheit auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil und daraus folgende Konsequenzen. Dazu ist ein Blick in die Frühgeschichte des Christentums ausgesprochen hilfreich,
Martin Ebner (Neutestamentler, Universität Münster) beginnt die geschichtliche Linie im frühen Christentum aufzuzeichnen, und zwar unter der Leitfrage, ob sich das Urchristentum im Sinne einer uniformen oder organisatorischen Einheit entwickelt hat. Angesichts der unterschiedlichen christlichen Identitäten seit den Anfängen vor Paulus und über die biblische Kanonbildung hinaus bleibt die Option auf eine christliche Pluralität richtungsweisend. Der Religionswissenschaftler Christoph Auffahrt (Universität Bremen) setzt die geschichtliche Linie ins Mittelalter hinein fort, und zwar angesichts eines keineswegs zwingenden Absolutheitsanspruchs von Wahrheit und Heil. Dadurch stehen bereits in jener Zeit verschiedene religiöse „Ideologien“ nebeneinander: Gewaltdurchsetzung und Gewaltverzicht. Allerdings setzte sich eine Minderheit für die gewaltsame Durchsetzung von Glaubensprinzipien durch, wie Inquisition und Kreuzzüge beweisen. Die pluralistischen Toleranz-Ansätze des Mittelalters sind darum umso beachtenswerter. Auffarth zieht dazu einige interessante Dispute bedeutender Persönlichkeiten heran: Petrus Venerabilis gegen Bernhard von Clairvaux, Nikolaus von Kues und Anselm von Havelberg im Blick auf den Kreuzzug gegen Konstantinopel, schließlich der China-Missionar Wilhelm von Rubruk am Hofe des Mongolenherrschers Möngke Khan.  

   
Wilfried Loth (Historiker, Universität Duisburg-Essen) schwenkt mit dem Aufkommen der modernen Demokratie ins 19./20. Jahrhundert ein. Er zeigt das Engagement katholischer Laiengruppierungen beim Aufbau demokratischer Gesellschaften in Deutschland, Italien, Schweiz, Frankreich, Spanien und Österreich. Sie bilden einen Kontrapunkt zu der sich Macht-konservativ antimodern gebärdenden kirchlichen Hierarchie. Aber bis zum 2. Vatikanischen Konzil fehlt ein Bekenntnis zum politischen Pluralismus und der uneingeschränkten Geltung der Menschenrechte. Die vorkonziliare Situation und die mit dem Vaticanum II eingeleitete Neuorientierung beschreibt sehr umfassend Christian Spieß (Ethiker an der kath. Fachhochschule für Sozialwesen Berlin). In der gegenwärtigen Situation scheint neben der unbestrittenen Trennung von Religion und Politik und der Akzeptanz von Säkularität allerdings wieder eine konfessionalistische Einengung von Freiheitsspielräumen aufzutauchen. Streitpunkte gibt es in diesem Zusammenhang immer wieder, wie der Mitherausgeber Karl Gabriel (Universität Münster) angesichts der weltanschaulichen Globalisierungstendenzen im Kontext von Säkularisierungs- und religiösen (Re-)Vitalisierungsprozessen aufzeigt. Religionen sind darum besonders herausgefordert. Das gilt für sie in doppelter Weise – als formales Bezugssystem und in den Sakralisierungen menschlicher Personen. Ursprüngliche Glaubensformen und-systeme verändern sich dabei ganz erheblich.

Was Gabriel umfassend beschreibt, dem gehen statistisch Detlef Pollack und Nils Friedrich (beide Universität Münster) nach, und zwar im Rahmen ihrer Disziplin, der Religionssoziologie. Sie benutzen einen differenzierten Toleranzbegriff zwischen bedingter Duldung und kultureller Bereicherung im Blick auf Muslime, Hindus, Buddhisten und Juden. Sie haben dazu West- und Ostdeutschland (getrennt), Dänemark, Frankreich, die Niederlande und Portugal ausgewählt und Toleranz mehr oder weniger fördernde Einstellungen konkret benannt. Für Deutschland sehen die positiven Toleranzeinschätzungen gegenüber den anderen untersuchten Ländern allerdings am schlechtesten aus.      
Ebenfalls Länder bezogen beschreiben Judith Könemann (Praktische Theologin, Universität Münster) und Ansgar Jödicke (Religionswissenschaftler, Universität CH-Fribourg), wie sich Religion innerhalb der Zivilgesellschaft politisch einbringt. Die Volksabstimmungen in der Schweiz sind dafür ein besonders geeignetes Beispiel, weil sich die christlichen Religionsgemeinschaften hier jeweils aktiv beteiligen. Eine weitere statistische Bestandsaufnahme präsentiert der Religionswissenschaftler Volkhard Krech (Ruhr-Universität Bochum), der die religiöse Lage in Deutschland angesichts der umfassenden Pluralisierung in der Gesellschaft im Blick auf die unterschiedlichen Typen der Kirchenmitglieder analysiert, und zwar für die Großkirchen wie für kleinere christliche Religionsgemeinschaften. Aber auch Judentum, Islam, die asiatischen Religionen und neue religiöse Bewegungen kommen in den Blick. Im Resümee schreibt er im Blick auf die Gesamtsituation: „… nicht zuletzt erfreut sich Religion als semantische Ressource innerhalb ethischer Problemlagen an den Grenzen instrumentellen Handelns einer gewissen Konjunktur“ (S. 221).
Als Rechtswissenschaftler (und Völkerrechtler) geht Christian Walter (Universität München) an das Verhältnis Staat – Kirche heran, sowohl was das 19. Jahrhundert, den Weimarer Kirchenkompromiss und die Situationsveränderungen im Staatskirchenrecht in der Bundesrepublik Deutschland (mit dem Grundgesetz) betrifft. Unter politischen Gesichtspunkten setzt Ulrich Willems (Politikwissenschaftler an der Universität Münster) an. Er thematisiert die Religionsfreiheit unterschiedlich strukturierter westlicher Gemeinwesen, besonders protestantischer oder katholischer Prägung. Religiös-plurale Veränderungen erfordern eine Anpassung der religionspolitischen Ordnungen, für die Verfassungsgerichte nicht sonderlich geeignet sind (S. 263). Diese müssen jedoch grundlegende Rechte und notwendige Fairness gegenüber religiösen Minderheiten absichern. 
Hermann-Josef Große Kracht (Sozialethiker an der TU Darmstadt) macht auf den „leer gewordenen Ort der Macht“ durch die Abschaffung des monarchischen Gottes-Gnadentums aufmerksam (S. 271), ohne die Religion wieder an diese Stelle setzen zu wollen. Stattdessen spricht er sich für eine bewusst öffentlich wirkende Komplementarität von Religionen und Republik aus, und zwar im Sinne einer „soliden Säkularität“. 
Der Rechtsprofessor Thomas Gutmann (Universität Münster) untersucht die Zusammenhänge zwischen religiösem Pluralismus und den Gegebenheiten des liberalen Verfassungsstaates, wie er von Hugo Grotius und Thomas Hobbes eingeleitet wurde. Weltanschauliche Neutralität des liberalen Rechtsstaates ist angesichts religiöser Vielfalt kaum eindeutig zu realisieren. Politischer Liberalismus zeigt sich jedoch insgesamt religionsfreundlich, aber nicht ohne institutionelle Begrenzungsschwellen. So wird auch die institutionell-rechtliche Bevorzugung der christlichen Großkirchen (in Deutschland) im Interesse von Gleichbehandlung angesichts starker religiöser Pluralisierung beendet werden müssen.
Religionspolitik im säkularen Zeitalter – so Katja Winkler (Sozialethikerin, Universität Tübingen) – braucht Kriterien des Säkularen, wie sie Charles Taylor besonders klar herausgehoben hat: Säkularismus im Sinne der Unterscheidung von öffentlich und privat, des Rückganges des Religiösen und der Option des Nichtglaubens des Einzelnen. Die daraus sich ableitende Multikulturalität begegnet jedoch partikularen Ethikvorstellungen, die den Menschenrechten zuwider laufen können und an der Trennungslinie von religiös und antireligiös wahrgenommen und bearbeitet werden müssen (vgl. S. 232). 
Schließlich geht der (katholische) Religionsphilosoph Thomas M. Schmidt (Universität Frankfurt/M.) auf die Herausforderung durch den gesellschaftlich-religiösen Pluralismus ein. Er stellt die klassischen theologischen Modelle vor: Exklusivismus, Inklusivismus und religionspluralistische Theologie sowie die pluralistisch gewissermaßen abgeschwächte komparative Religionstheorie. Der Autor selbst neigt durchweg zu einer inklusiven Linie. Diese führt er auch politisch-liberal geweitet vor: Ein exklusiver Liberalismus erlaubt kein Heil außerhalb der säkularen Vernunft. Liberaler Inklusivismus wirkt im Sinne eines Filters, der sowohl bei den Religiösen wie den Säkularen Selbstkritik ermöglicht. 
Schließlich fixiert ein säkularer liberaler Pluralismus die Gleichrangigkeit von religiösen und säkularen Argumenten. Diese Position schränkt der Autor zugunsten eines „offenen Inklusivismus“ ein. Dieser nämlich „erkennt … die potentielle Rationalität persönlicher und damit auch religiöser Überzeugungen an“ (S. 360).
Bilanz
Herausgeber und Autoren haben angesichts fortschreitender Säkularisierung und eines wachsenden religiösen Pluralismus nicht nur die „Großwetterlage“ mit dem Handwerkszeug ihrer jeweiligen Fachdisziplin sorgsam beschrieben, sondern die Herausforderungen markiert, auf die politische Gemeinwesen aller Größenordnungen reagieren müssen. Sie haben damit Grundlegendes geleistet und zugleich eine Zukunftsorientierung für die bleibende Faktizität pluraler Gesellschaften angesprochen. Das zeigt sich selbst an einer so einheitlich scheinenden Gemeinschaft wie dem Katholizismus. 
Das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher religiöser Traditionen und Weltanschauungen erfordert eine sorgsame Religionspolitik für eine gemeinsame gesellschaftliche Verantwortung. Das betrifft unterschiedliche Gesellschaftstypen, allerdings im Hinblick auf allgemein akzeptierte menschliche Werte für ein sinnvolles Leben aller Beteiligten.
Reinhard Kirste
Rz-Gabriel-rel-Plural, 30.09.12