Freitag, 2. Dezember 2022

Die Römischen Göttinnen und Götter und das Christentum (aktualisiert)


Badisches Landesmuseum (Hg.):
Imperium der Götter:
Isis – Mithras – Christus.
Kulte und Religionen
im Römischen Reich



Darmstadt: Konrad Theiss 2013, 480 S.,
über 580 Abb., 4 Karten.
--- ISBN 978-3-8062-2871-7 ---


Begleitband zur
Ausstellung im Badischen Landesmuseum Karlsruhe -
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16.11.2013 – 18.05.2014 ---
Kurzrezension: hier

Ausführliche Besprechung
Mit dieser Ausstellung im Schloss Karlsruhe ist es dem Badischen Landesmuseum Karlsruhe besonders schön gelungen, die sich gegenseitig beeinflussende Göttervielfalt im Römischen Reich (Schwerpunkt: 3. nachchristliches Jahrhundert) zu veranschaulichen. 
Die didaktische Zusammenstellung der Exponate aus bedeutenden Museen Europas, aber auch aus deutschen Fundorten, zeigen eine multireligiöse Vielfalt ungeahnten Ausmaßes. Der Gang durch die Ausstellung und den aufwändig gestalteten Begleitband wird deshalb so spannend, weil in der Entwicklung des Christentums im Römischen Imperium göttliche Grundmuster in den wachsenden christlichen Glauben einfließen. Es sind Bilder und Symbole, die das Christentum bis heute geprägt haben. Deshalb verbinden sich in den Mysterienkulten und den Erlösungsvorstellungen im Kontext von Isis, Mithras und Christus grundlegende faszinierende Menschheitserfahrungen.

Dem Bassin des Mittelmeeres entsteigt gerade nach der Zeitenwende eine Götterwelt, ein Pantheon, das in vielen Variationen im gesamten lateinisch sprechenden Europa und auch im römischen Deutschland seinen Niederschlag und eine große Zahl Anhänger findet. Dass schließlich das Christentum den Sieg gegenüber den anderen Göttern davon trägt, hat sicher nicht nur mit der politischen Konstellation seit Kaiser Konstantin zu tun, sondern auch mit der Faszination der aus dem Osten eingewanderten Religionen. Ihre vieldeutigen Mythologien, Initiationsriten geheimer und okkulter Art, ihre Opfer- und Essensrituale, überhaupt ihre Kultpraktiken, lockten die Menschen an – praktizierter Glaube angesichts des mysterium tremendum et fascinans (Rudolf Otto).    

Neben den Museumsfachleuten mit ihrem Direktor Harald Siebenmorgen haben viele kompetente Religionswissenschaftler, Kirchenhistoriker, Archäologen und Experten römischer Kulturgeschichte an  der Ausstellung und dem ansprechenden Begleitband mitgewirkt, so z.B. Jan Assmann, Christoph Auffarth, Philippe Borgeaud, Walter Burkert, Richard Gordon, Christoph Markschies und Christian Witschel. Ihnen ist es zu danken, dass neben den über 340 Exponaten die Zusammenhänge differenziert entwicklungsgeschichtlich dargestellt werden. So lässt sich gut zusammendenken, welche Gestalten und Erlösungstypen in Isis, Mithras und Christus sichtbar werden. Das geschieht in fünf Themenkreisen:
1.  Kultentwicklungen im Römischen Reich
Religiöses Denken und sakrales Handeln ist im Alten Rom polytheistisch geprägt, aber die Transformationen angesichts des riesigen Kulturraums „Römisches Imperium“ zeigen die große Flexibilität im religiösen Kontext. Die aus dem Osten kommenden Erlösungskulte mit ihren Mysterien (unter Einbeziehung Griechenlands) spielen dabei eine immer größere Rolle. Sie werden übrigens durch Augustus so geschickt eingebunden, dass sie für den Kaiserkult quasi instrumentalisiert werden und die kaiserliche Macht stärken. Durch religiöse Kommunikation lassen sich politische Entscheidungen gezielt vorantreiben. Unter Einbeziehung von Franz Cumonts (1868–1947) Forschungsarbeiten bedenken die Autoren dieses Abschnittes auch Sichtweisen Roms auf den „Orient“.
2.  Der Einfluss der machtvollen Göttinnen:
„Die Große Mutter“ (Magna Mater / Kybele) und Isis

Mit den machtvollen orientalischen Mutterkulten kommt eine wichtige und entscheidende Komponente für die weitere religiöse Entwicklung im Römischen Reich zum Tragen. Die keineswegs liebliche „ Mutter der Götter“ von Anatolien über Griechenland bis Rom beeinflusst den gesamten Mittelmeerraum und sogar noch Britannien. Die Archäologie hat eine Fülle von Heiligtümern nachgewiesen. Natürlich gab es kulturelle Anpassungen und Entschärfungen wie die Typik der Göttin Kybele/Artemis/Diana zeigt. Aber es fehlte schon damals nicht an Kritik an den teilweise orgiastischen (Opfer-)Riten des Mutterkultes und angesichts des jugendlichen Attis, des Geliebten der Kybele. Das antike Ostia ist ein besonders herausragendes Beispiel dieses Kultes.
             
Aus dem Iran wandert Mithras mit dem Stieropfer ein, und sein Kult entwickelt sich zu einer der volkstümlichsten religiösen Bewegungen. Von Ägypten „mischt“ sich Isis in die Göttinnen-Herrschaft ein. In ihren vielfältigen Erscheinungsformen steigt sie schließlich zur Göttin aller Völker im Römischen Imperium auf.
Isis,
Museum Capitolinum
(Wikipedia)
Ihre moralischen und asketischen Forderungen, nehmen ihre Adepten der Götter gern im täglichen Kult auf sich, weil sie so wahre Freiheit erlangen. Auch Isis hat einen Gefährten, ursprünglich Osiris, nun Serapis – der Gott, der aus dem Geist des Stiers geboren wird. Dieser Stier spielt schon in bisherigen Traditionen eine wichtige Rolle.
3.  Der Opfergedanke im Mithraskult und
     bei Jupiter Dolichenus



Mithras tötet den Stier (Louvre Lens)



















Der Mithraskult gewann mit seinem (Stier-)Opfergedanken nicht nur unter den Soldaten der römischen Legionen von Ost bis West eine herausragende Bedeutung, sondern inkulturierte sich auch in das variantenreiche römische Götterpantheon, wie der Kult um Jupiter Dolichenus zeigt. Dass Mithras auch noch mit diesem höchst populären römischen Göttereine Verbindung einging, sei hier nur am Rande erwähnt (vgl. S. 267-293). Das in der Ausstellung nachgebaute Mithräum von S. Maria Capua Vetere lässt etwas vom göttlichen Geheimnis und seiner Erlösungs-Faszination erahnen, Hier führten „Mystagogen“ mit unterschiedlichen Weihegraden ein und ermöglichen die spirituelle Teilnahme: (Stier)-Opfer und Kultmahl mit dem Sonnengott „Sol“. Aber auch die Wundertaten des Mithras werden gebührend gewürdigt. Angesichts dieses so populären Kultes hat die Wissenschaft über Herkunft, Entstehung und theologischer Bedeutung unterschiedliche Theorien entwickelt. Vielleicht zeigen diese Differenzen jedoch zugleich, dass dieser Kult nie eine einheitliche dogmatische Linie hatte.



Zitat aus: Christoph Elsas: Mystik in der Globalisierung. Diskurs und Traditionen
der Chaldäischen Orakel im Kontext heutiger Religionsbegegnung.
Berlin: EB Verlag 2017, S. 277 (mehr zum Buch, s.u. Literatur)

Der Autor verweist hier darauf, dass die Epoche, in der die platonischen Philosophen 

Plutarch (um 45-125) und Numenios lebten,
auch die Chaldäischen Orakel entstanden (2. Jh.). 

Hierher gehört etwas später der Neuplatoniker Porphyrius (um 233 - 303/305).

Es war zugleich die Blüte des synkretistischen Mithraskultes,
der sich in ganz Europa ausbreitete.
So konnten auch Elemente des Mithraskultes, besonders im Blick auf das Heilige Mahl, im Christentum ebenfalls zentrale Bedeutung gewinnen. Allerdings setzte sich der christliche Kult gegen Mithras mit aller Schärfe zur Wehr – und letztlich mit Erfolg.
4.  Das monotheistische Judentum
und das sich ausbreitende Christentum in der römischen Antike
Ein besonderer Blick muss in diesem Zusammenhang auf das Judentum geworfen werden, weil im Römischen Reich von Anfang an ein Monotheismus im Gegenüber zur Göttervielfalt mit all ihren Wandlungen steht. Immerhin vermutet man in diesem Weltreich zur Zeitenwende 5-6 Millionen Juden, was etwa 10% der Gesamtbevölkerung ausmacht (S. 310). Die Kriege der römischen Kaiser gegen die jüdischen Aufstände, besonders die Zerstörung Jerusalems im Jahre 70 n. Chr. durch Titus, werden zu Eckpunkten jüdischen Geschichtsverständnisses. Dieses muss sich zugleich gegen das aufkommende Christentum abgrenzen und umgekehrt. Immerhin entwickelten die Kaiser in der Regel einen modus vivendi; und besonders im Osten blühte jüdisches Leben, wie die Funde im Zusammenhang mit der Synagoge im multireligiösen Dura Europos am Euphrat (heutiges Syrien) zeigen.
Das Christentum begann im Römischen Reich in der Spannung von Abgrenzung und teilweiser Integration. Der Siegeszug erst im 4. Jahrhundert brachte nach kurzer religiöser Kultfreiheit im Imperium Romanum schließlich allen „heidnischen“ Kulten ein (teilweise grausames) Ende. Einzelne pagane Restaurationsversuche sind eher als letztes Aufflackern der alten Religionen zu werten. Besonders aufregend war der epochale Einschnitt im Jahre 392, als in Alexandria, dem Hauptkulturort des Gottes Serapis, die ihm geweihte Tempelanlage einem christlichen Mob zum Opfer fiel (S. 367ff). Schließlich war Serapis Reichsgott: in ihm verschmolzen der Apis-Stier (der sterbend in Osiris aufersteht), der Gott Osiris mit Isis und dem Horusknaben sowie schließlich Zeus-Jupiter im Gegenüber zum Todesgott Hades bzw. Pluto. Christus tritt gewissermaßen gegen Apis, Osiris und Serapis an und nimmt deren Plätze gewaltsam ein. Bei aller Abwehr des „Heidnischen“ lassen sich dennoch im Erlösungsverständnis des populären Götterimperiums – mit der Großen Mutter bzw. Isis, dann Mithras, Jupiter und Serapis – Konvergenzen zu zentralen christlichen Glaubensinhalten aufweisen. Und Maria als „Mutter Gottes“ hat bis in die Ikonografie hinein Züge der Isis übernommen. Dies wird allerdings in der Ausstellung nicht thematisiert.
Isis
mit dem Horusknaben,
vermutlich "Spätzeit",
4. Jh. v. Chr.
 
Auch wenn die Dinge im Einzelnen sehr differenziert liegen: Christentum und Mithraskult zeigen auch eine große Nähe zueinander. Nicht umsonst steht im Vorwort des Buches der berühmte Satz des Religionshistorikers Ernest Renan wie ein Motto (S. 5): 
"Wenn das Christentum aufgrund zufälliger Ereignisse in seiner Ausbreitung gehemmt worden wäre, wäre die westliche Welt mithrasgläubig geworden.“ 

Wie man es auch wendet: Das Christentum erwuchs letztlich aus dem religiösen Pluralismus Roms, und zwar durch Transformationen und synkretistische Verschmelzungen, die sich bis in die Architektur hinein aufzeigen lassen. Weil auch die Katakomben als christliche Zufluchtsorte in ihrer märtyrerhaft-legendarischen Überhöhung und die Wandlung der Christusbilder von den Autoren untersucht werden, eröffnet sich ein teilweise ungewohnter Blick auf die sich wandelnden theologischen Bildkonzepte von der (unterirdischen) Friedhofskirche bis zur sakralen Säulenbasilika. 
So kann man im Katalog und natürlich noch deutlicher beim Gang durch die Ausstellung der Christenbewegung „nachgehen“, wie sie von bescheidenen Anfängen in den gesamten Mittelmeerraum vordringt und über die römische Reichskirche
schließlich Weltreligion wird.
Domitilla-Katakombe Rom: Christus als Lehrer
(Artothek "Eule der Minerva)


5.  Die Wirkungen „orientalischer“ Kulte
vom Mittelalter über die Renaissance bis in die Moderne
Bei so vielen verbindenden religiösen Elementen, die das Römische Imperium aus sich entließ, führen die Autoren und Ausstellungsmacher noch einige wirkungsgeschichtliche Besonderheiten vor, in denen das griechisch-römische Erbe weiterlebt. Da findet sich Mithras in einen mittelalterlichen Kardinalspalast in Rom, Isis war in Pompeji zu Hause, wie man schon bei Ausgrabungen in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts entdeckte. Isis und Osiris begegnen schließlich neu auflebend in der Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts. Dass die ägyptischen Mysterien bereits im 18. Jahrhundert geradezu Mode wurden, hat keineswegs nur mit Mozarts Zauberflöte zu tun. Katakomben, Märtyrer, Christenverfolgungen bewegen Dichter und bildende Künstler bis heute. Hier wird z.T. das Bild einer Urkirche lebendig, die es so sicher nicht gab, die sich aber nicht als politisch einflussreiche Reichskirche, sondern als Kirche aus dem Geist der Armut verstehen will.
Bilanz
Den Planern und Arrangeuren der Ausstellung sowie den kompetenten und didaktisch engagierten wissenschaftlichen AutorInnen des Begleitbandes gelingt es, die religiöse Vielfalt im Römischen Reich mit dem Aufbrechen neuer sich durchsetzender Kulte darzustellen. Sie zeigen, wie auf solch religiös-pluralem Boden schließlich das Christentum Durchsetzungskraft und weltgeschichtliche Oberhand gewann. Mit diesem umfassenden Begleitband zur Ausstellung bleibt für alle religiös und geschichtlich Interessierten auch nach dem Ende der Karlsruher Ausstellung ein übersichtlicher und bleibend lohnender Fundus zurück. Er ermöglicht allen mehr oder weniger Gläubigen die eigene Religionsgeschichte besser zu verstehen. Wir wären heute in Europa religiös, theologisch und geistesgeschichtlich nicht diejenigen, die wir geworden sind, wenn es das politische Römische Imperium mit seinem Imperium der Götter nicht gegeben hätte.  

Dieser Titel wurde von der InterReligiösen Bibliothek (IRB) zum Buch des Monats April 2014 ausgewählt.
Reinhard Kirste


Relief an der Jupitersäule Echzell (Wetterau):
Mars, Luna und Jupiter




Ergänzende Literatur zu den Religionen der Antike
mit MITHRAS (Mithra), Zarathustra und Esoterik

  • Zur Bedeutung des Stiers
    Europa und der Stier, Fresko aus Pompeji,
     1. Jh. etwa zur Zeit Ovids (wikipedia)
    in der Mythologie rund um das Mittelmeer 
  • Moeurs / Rituale -

    L'homme, le taureau, la corrida.
    Der Mensch, der Stier, der Stierkampf
    (Isabell Grégor, Herodote.net, 09.05.2020)

  • Die wirkungsgeschichtliche Bedeutung
    antiker Religion und Philosophie
  • Paul de Breuil: Les Dieux de l'ancien Iran aux saints du bouddhisme, du christianisme et de l'islam
    Paris: Dervy 1989, 
    p. 51-64
  • Manfred Clauss: Mithras. Kult und Mysterien.
    München: C.H. Beck 1990, 215 S., Abb., Register
  • D. Jason Cooper: Mithras. Mysteries and Initiation Rediscovered.
    York Beach (Maine, USA): Samuel Weiser 1996, 177 pp., index
  • Franz Cumont: Die Mysterien des Mithra.
    Ein Beitrag zur Religionsgeschichte der römischen Kaiserzeit.

    Autorisierte deutsche Ausgabe von Georg Gehrich.
    Darmstadt: WBG 1981, 5. Aufl., 248 S., Register
  • Christoph Elsas: Mystik in der Globalisierung.
    Diskurs und Traditionen der Chaldäischen Orakel
    im Kontext heutiger Religionenbegegnung.
    Berlin: EB Verlag 2017, 432 S.
    Rezension: hier
  • Richard C. Foltz: Spirituality in the Land of the Noble.
    How Iran Shaped the World's Religions.
    Oxford: One World 2004, p. 32-33
  • Hermes Trismegistos und heutige Esoterik
    Wouter Hanegraaff / Peter Forshaw / Marco Pasi (eds.):

    Hermes Explains. Thirty Questions about Western Esotericism

    Amsterdam University Press 2019, 336 pp., index
  • Albert de Jong: Traditions of the Magi.
    Zoroastrianism in Greek & Latin Literature.
    ---
    Religions in the Graeco-Roman World, Vol 133. --- Leiden a.o.: Brill 1997, p 284-301
  • Rheinisches Landesmuseum Bonn (Hg.): Von den Göttern zu Gott.
    Frühes Christentum im Rheinland. Ausstellungskatalog.
    Tübingen / Berlin: Wasmuth 144 S., Abb.
  • Thomas Römer: Die Erfindung Gottes.
    Eine Reise zu den Quellen des Monotheismus. Darmstadt: WBG 2018, 272 S., Abb.
    Verlagsinformation, Inhaltsverzeichnis, Leseprobe: hier
  • Holger Sonnabend: Götterwelten. Die Religionen der Antike
    Darmstadt: Theiss (WBG) 2014, 192 S., Abb., Zeittafel
    Rezension: hier
  • Harald Strohm: Mithra oder: Warum >Gott Vertrag<
    beim Aufgang der Sonne in Wehmut  zurückblickte.
    Paderborn: Fink 2008, 380 S., Namenregister
  • Démètre Théraios (dir.): Zarathoustra et renouveau chrétien de l'Europe.
    Hommage à Paul de Breuil.
    Paris: Guy Trédaniel  1996, S. 151-172 (Jean Haudry)

 Rz-Imperium-Götter, 31.03.14, mehrfach bearbeitet


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