Dienstag, 29. Juli 2014

Zum Werk von Max Weber: Der Geist des Kapitalismus und die protestantische Ethik



Hans-Peter Müller/Steffen Sigmund (Hg.):
Max Weber-Handbuch.
Leben – Werk – Wirkung

Stuttgart: Metzler 2014, XI, 425 S.
Im Anhang: Zeittafel zur Max-Weber-Gesamtausgabe, Siglen, Auswahlbibliographie, Personenregister  
--- ISBN: 978-3-476-02432-9 ---
Ausführliche Beschreibung
Dieses umfassende Handbuch bietet eine Hinführung und einen weit reichenden Überblick über Leben, Werk und Rezeption von Max Weber (1864-1920)  sowie eine Herausarbeitung zentraler Denkkategorien seines einzigartigen und für die Entwicklung in der Soziologie bahnbrechenden Werks. Es hat erhebliche Wirkungen auf Wirtschaft, Kulturwissenschaften, (Religions-)Wissenschaft und (Sozial-)Ethik des 20. Jahrhunderts gezeitigt. Angesichts der in Webers Texten erkennbaren, unterschiedlich akzentuierten Denkmuster, ist es ausgesprochen hilfreich, dass die im und durch das Buch angestoßene Diskussion unter der Leitfrage stattfindet: In welchen Bereichen ist Weber heute noch aktuell?

Hier ist es durch die systematisierende Bündelung umfassender Forschungsarbeit gelungen, einen übersichtlichen Zugang zu Max Webers Denken zu eröffnen. Kompetente Wissenschaftler verschiedener Disziplinen haben unter der Herausgeberschaft der Soziologen Hans-Peter Müller (Humboldt-Universität Berlin) und Steffen Sigmund (Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg) eine enorme Arbeit geleistet. Dies ist umso erstaunlicher, als die Vielfältigkeit des Gesamtwerks von Weber und die sich daran anschließende Diskussion und internationale Weiterarbeit in der Sekundärliteratur auch für Spezialisten kaum wirklich überschaubar sein dürfte.
Für die eigene Beschäftigung mit Weber wirkt sich von Anfang an positiv aus, dass die Herausgeber gewissermaßen „Sichtschneisen“ freigelegt haben. Dies betrifft zum einen das spannungsgeladene Leben von Max Weber (Teil 1) im Horizont des Kaiserreiches und des 1. Weltkriegs, dann eine Auflistung und Kommentierung wichtiger Begriffe und Denkmuster von A-Z (Teil 2) und schließlich Werkgruppen mit verdeutlichenden Zitaten aus Webers Gesamtwerk (Teil 3). Sie umfassen in 6 Abschnitten die Wirtschafts-, Politik und Sozialgeschichte in Antike und Mittelalter. Dann erfolgt unter ähnlicher Themensetzung die Eingrenzung auf Deutschland und Europa des 19./20. Jahrhunderts. Eigene Bereiche bilden auch Webers Wissenschaftslehre, Beiträge zur Religionssoziologie (wiederum historisch und aktuell gesehen), ferner Zusammenhänge von Wirtschaft und gesellschaftlichen Ordnungs- und Machtstrukturen.
Im ausführlichen Diskussionsteil des Handbuchs (Teil 4) geht es um die Auseinandersetzung mit der Moderne, Entgrenzung westlichen Denkens bis hin zu Fragen der Europäisierung und Globalisierung im Kontext der Nationalstaatsidee. Dabei werden auch die Säkularisierung, die Bewertung von Kapitalismus und Religion(en), Rechtsvorstellungen in Europa und im globalen Kontext angesprochen. Die Diskussion hat ihren Fokus bei Arbeit und Beruf sowie in der Erziehung zum Politischen.
Bedenkt man dies, wird sehr schnell deutlich, dass Webers wenig systematischer Beitrag Protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus (1904/1905/1920) und das wohl am häufigsten zitierte Konvolut Wirtschaft und Gesellschaft im Gesamtkontext seines Werks eingeordnet werden muss. Denn der Geist des Kapitalismus ist zwar gekennzeichnet durch ein rational ausgerichtetes Gewinnstreben und durch die Forderung nach Rentabilität, aber eben nicht durch die (neoliberale) Gier nach höherem Profit auf Kosten der Betriebsführung und der arbeitenden Menschen. Eine stringente Einschätzung von Webers Wirtschaftsethik und Religionssoziologie ist daher keineswegs ein leichtes Unterfangen, wie schon die Entstehungsphasen dieser Texte Webers und der Diskussionsteil im Handbuch beweisen. Sie wurden zwischen 1909 und 1914 und von 1918 bis 1920 erarbeitet. Weber veröffentlichte sie 1921/22, seit 1956 sind sie zusammengefasst unter dem Titel: Wirtschaft und Gesellschaft – Grundriss der verstehenden Soziologie.
Angesicht der Fülle von Webers Denkansätzen möchte ich mich auf sein protestantisch-intellektualistisches Askese-Religionsverständnis konzentrieren. Zur Konturierung lohnt sowohl die Einsicht in „Die Protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“, als auch in Webers handlungsorientierte Intentionen zur Wirtschaftsethik im Kontext der Weltreligionen. Die folgende Themenauswahl hat darum durchaus subjektiven Charakter:
Gesinnungs- und Verantwortungsethik: Martin Endreß (Universität Trier) hebt besonders die „typologische Differenz der bei Weber zutage tretenden Grundspannung hervor, um daran dessen Einfließen in das „Gebiet der praktisch politischen Wertungen“ anzuzeigen (S. 53).
Sinnfrage: Bei der Diskussion um den Lebenssinn bemerkt Wolfgang Ludwig Schneider (Universität Osnabrück), wie sehr die idealisierte Sinndeutung bei Weber seine Annäherungen an den Hinduismus und den „asketischen Protestantismus“ mit erheblichen Unschärfen belastet, Das fällt besonders bei den Klärungsversuchen symbolischer Sinnzusammenhänge auf sowie beim Verstehen von Handlungsmotivationen. (S. 126)
Wertekonflikte: Im Rahmen der Kulturbedeutung der Strukturen menschlichen Geisteslebens behandelt der Herausgeber Hans-Peter Müller die Zusammenhänge von Zeitdiagnosen und Ethik und spricht dabei ebenfalls die Sinnproblematik in der Lebensführung an mit dem erstaunlichen Ergebnis, dass Weber ohne einen „führenden Oberwert“ auskommt (S. 146)
(Welt-)Religionen: Der Bremer Religionswissenschaftler Hans G. Kippenberg verweist darauf, dass Weber letztlich eine Definition von „Religion“ verweigert, aber „dass ein Prozess der Entzauberung (…) die Ursache dafür sei, dass die Kultgebilde des Abendlandes – Wirtschaft, Staat, Recht, Wissenschaft, Kunst – sich fundamental von den asiatischen unterschieden“ (S. 117). Weber muss dennoch „ein generelles Streben des Menschen nach Sinn und Heil postulieren“ (S. 121).
Hinduismus und Buddhismus: Mateusz Stachura (Universität Heidelberg) zeigt, wie Weber vom Gedanken des „Habitus“ her den Blick auf das Kastensystem lenkt. Er erkennt – quasi protestantisch wohlwollend – eine an immerhin an Dharma-Regeln fixierte Berufsethik. Sie ist allerdings in die gesellschaftlich tief wirkende Karma-Lehre eingebettet, die er als Weltflucht bewertet. Hier sieht Weber den Buddhismus eingreifen. Dieser überwindet aber keineswegs die Irrationalität des Hinduismus, sondern bleibt in traditionalistischen Kompromissen stecken.
Konfuzianismus/Taoismus: Das weltoptimistische Konfuzianismus-Bild, wie es die jesuitischen China-Missionare in Europa verbreitet hatten, prägt auch Webers China-Verständnis. Darum stellt er den Taoismus in seiner geradezu magischen Irrationalität gegen die Lehren der Konfuzianer. Darauf verweist der Sinologe Hans van Ess (Universität München). Er spitzt den Diskurs insofern noch zu, wenn er die Wirkungsgeschichte westlicher China-Projektionen und die Weber-Rezeptionen Späterer mit der (kommunistischen) China-Realität des 20. Jahrhundert vergleicht – eine nicht zu übersehende Diskrepanz.
Antikes Judentum: Die Alttestamentlerin Christa Schäfer-Lichtenberger (Kirchliche Hochschule Wuppertal) sieht wegen der Rechtsüberlieferungen und der Bewertung jüdischer Minoritäten in Mehrheitsgesellschaften durch Weber dessen Analysen als beispielgebend „für eine vergleichende ´historische Soziologie“ (S. 284) an, erstaunlicherweise trotz der Überholtheit einer Reihe von Webers sozialgeschichtlichen Thesen. Das hat offensichtlich damit zu tun, dass sich soziologisch mit der Anwendung des „Paria-Konzepts“ die gesellschaftliche Randstellung bestimmter Gruppen deutlich hervortritt. Dies gilt nach Webers Meinung gerade für das antike Judentum (S. 284).
Religiöse Gemeinschaften: In solche Überlegungen zu den Religionen fügt sich nahtlos Webers typologischer Beitrag über „Religiöse Gemeinschaften“ (1922) ein. Es handelt sich hier um das religionssoziologische Kapitel von Wirtschaft und Gesellschaft“. Es wurde zur Voraussetzung für Webers Wirtschaftsethik der Weltreligionen. Der Bochumer Religionswissenschaftler Volkhard Krech bringt das in seinem Beitrag über religiöse Gemeinschaften auf den Punkt: „Der zentrale Gegenstand der Weberschen Religionssoziologie wie seiner Soziologie überhaupt ist der universalhistorische Prozess der Rationalisierung des Handelns“ (S. 291).
Bilanz: 
Hier konnten nur wenige Orientierungsmarken im religiösen Kontext gesetzt werden. Aber sie zeigen bereits, wie wichtig Max Weber mit seiner Disziplinen überschreitenden Soziologie und Ethik auch im 21. Jahrhundert bleibt. Seine Analysen und Beurteilungen im Kontext der weiter international geführten Diskussion – auch um die Bedeutung der Religion(en) und besonders in der Verbindung von Protestantismus und Kapitalismus – erlauben nicht, ihn für eine bestimmte „protestantische“ Sicht zu vereinnahmen. Das Handbuch bietet eine vorzügliche Basis-Möglichkeit, die Auseinandersetzung im Kontext seines Denkens weiter zu führen. Das lohnt sich gerade im Blick auf die gesellschaftliche Relevanz der (Welt-)Religionen. Die nicht zu übersehenden Spannungen von religiösem Idealtypus mit entsprechender Heilserwartung, ethischem Anspruch sowie dem faktischen Verhalten im Kontext gesellschaftlicher Realität markieren Konfliktlinien, vor deren globalen (und oft katastrophalen) Auswirkungen letztlich niemand die Augen verschließen darf .
Reinhard Kirste
Rz-Weber-Handbuch, 29.07.14


Freitag, 11. Juli 2014

Gerechter Krieg? Gerechter Frieden!



Leopold Neuhold (Hg.): Frieden, Frieden, aber es gibt keinen Frieden.
Theologie im kulturellen Dialog Band 24.
Innsbruck/Wien: Tyrolia 2014, 193 S.
--- ISBN 978-3-7022-3198-9 --- 

Ausführliche Beschreibung: hier
Die hier präsentierten Beiträge wurden im Rahmen einer Vortragsreihe an der Karl-Franzens Universität Graz im Wintersemester 2011/2012 gehalten. Der Grazer Sozialethiker Leopold Neuhold, der das Buch herausgegeben hat, sieht die Intentionen in folgende Richtung gehen: Es geht beim Thema „Frieden“ nicht nur um Gewaltminimierung, sondern um die wirkende Wirklichkeit“ der Menschenrechte in unmittelbaren Bezug zur persönlichen, sozialen, politischen und wirtschaftlichen Welt(S. 11).

Die ebenfalls fast durchweg von der Universität Graz stammenden Autoren und Wissenschaftler gehen diese Aufgabe unterschiedlich an – mit theologiegeschichtlichen Bezügen und geografischen Verdeutlichungen und mehr grundlegenden Klärungsversuchen. Dabei werden kirchenkritische Anfragen nicht ausgeblendet.

Mit einer theologiegeschichtlichen Betrachtung zu den Friedensvorstellungen bei Augustinus zieht die Patristin Anneliese Felber bereits eine Grenzlinie, die Kriege systematisch einschränken müsste. Nur Ungerechtigkeit der Gegenseite „rechtfertigt“ einen Krieg als „ultima ratio“. Krieg bleibt dennoch ein Übel – auch unter den Bedingungen von Gerechtigkeit und Liebe. Das Christentum ist offensichtlich keine pazifistische Religion, weil die Meinung vorherrscht, mit der Anwendung von Gewalt, eine gestörte Friedensordnung letztlich doch herstellen zu können. 

Der Dogmatiker Bernhard Körner dagegen beschränkt sich auf den innerkirchlichen Streit, gerade weil nicht immer Glaubens-Motivationen im Spiel sind. Der Autor sieht allerdings im Konflikt eine bewusste Chance, wenn es um das gegenseitige Verstehen und die Suche nach der Wahrheit und nicht um deren Fixierung geht. Was hier für eine Konfession zutrifft, lässt sich am Islam verdeutlichen. Der Religionswissenschaftler Karl Prenner prüft dazu die Deutungs- und Handlungsmuster von Dschihad, die offensichtlich in der gegenwärtigen Situation weit auseinanderdriften. Darum ist es wichtig, sich auf den Koran zu beziehen, dabei allerdings die historischen Bedingtheiten seiner Entstehung sowie die Tradition (Hadithe) zu berücksichtigen. Sie spiegeln ein gegenteiliges Verständnis von dem, was die modernen „Dschihadisten“ mit ihrem Terror umsetzen. Wie diese Entwicklungen in der islamischen Welt ausgehen werden, ist angesichts des in diesen Ländern immer stärker werden Wunsches nach Freiheit und Lebenssicherheit derzeit nicht abzusehen.
Zu Krieg und Frieden in Bosnien-Herzegowina äußert sich in einer Rede vom Januar 2012 Valentin Inzko, der Hohe Repräsentant des Landes. Er hofft, dass gerade die Internationale Gemeinschaft verstärkt mithilft, den Frieden in diesem ehemaligen Teil Jugoslawiens zu konsolidieren.
Die Religionswissenschaftlerin Ulrike Bechmann mischt sich in das ausgesprochen heikle Thema eines Friedens im „Heiligen Land“ ein. Neben einem geschichtlichen Abriss im Kontext der politischen Veränderungen Europas im 19. Jahrhundert, des Antisemitismus und des Kolonialismus geht sie näher auf die Konfliktlinien, Grenzveränderungen und die Flüchtlingsproblematik seit 1967 ein. Neben der gewaltsamen Intifada zeigt sie Beispiele von Aktionen der Gewaltlosigkeit durch Kultur auf, wie sie an mehreren Orten in Palästina u.a in Jenin und Bethlehem, aber auch von jüdischen Friedensinitiativen in Israel und Europa praktiziert wird. Der Frieden ist allerdings weiterhin in große Ferne gerückt.

Ein immer wieder verhandeltes Thema – ähnlich dem Augustin-Beitrag von Anneliese Felber – ist die Frage nach dem „gerechten Krieg“. Der Fundamentaltheologe Christian Wessely geht in einem ersten Schritt auf die Anfänge der Kirche im 2. Jahrhundert ein, um von der Diskriminierungs- und Verfolgungssituation her die politische Neuorientierung des Christentums seit 313 (Mailänder Edikt) anzusprechen. Im zweiten und dritten Schritt untersucht er dann alttestamentliche und neutestamentliche Gewalt- und Kriegsvorstellungen, die ihren Bezugspunkt jeweils in der Gerechtigkeit Gottes haben. Skizzenhaft geht der Autor hier auf die Eschatologie der Johannesoffenbarung ein, um von daher einige „Streiflichter“ auf die Geschichte und Lehre der Kirche zu werfen. Die Konstitution „Gaudium et spes“ des Vaticanum II wird ihm dabei zum Leitmotiv, und zwar so, dass die faktisch auf Verteidigung eingeschränkte dogmatische Ausformung „von einem >gerechten Krieg< trotz ihrer langen Tradition in der Lehre der Kirche heute letztlich eine paradoxe und eigentlich unangebrachte ist“ (S. 137f). Welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind, führt der Autor jedoch nicht mehr aus.
Josef Pichler als Neutestamentler untersucht im Kontext von Lukas 2,14, wie die „Pax Romana“ des Augustus nach einem fast 100jährigen Bürgerkrieg im Römischen Reich von den Profiteuren dieses Friedens durchweg positiv bewertet wird. Die Unterdrückten erfahren dagegen deren Tod bringende Konsequenzen, wie die Eroberung Jerusalems und die Niederschlagung der letzten jüdischen Aufstände zeigen. Immerhin beschreibt Tacitus erstaunlich offen die Ausbeutermentalität der kaiserlich-römischen Politik. Das Lukasevangelium setzt gegen diese Haltung eine Friedensperspektive, die die Gewaltminimierung und damit soziale Wohlfahrt zum Leitziel erhebt (S. 161).

Den Abschluss dieser viele Aspekte berücksichtigenden Themenreihe bildet Leopold Neuholds Beitrag zur Problematik der „humanitären Intervention“. Sie bleibt faktisch militärische Aufforderung zur Verwirklichung der Menschenrechte als ultima ratio, wie dies westliche Demokratien und die UNO propagieren. Kann man aber Menschenrechte durch Verletzung der Menschenrechte durchsetzen? In der konkreten Situation scheint dies ein unausweichliches Dilemma zu sein, so dass wegen des engen Zusammenhangs von Gerechtigkeit und Frieden die Lehre vom „gerechten Krieg“ in eine Lehre vom „gerechten Frieden“ verwandelt werden muss. Diese nimmt die Ohnmacht Gottes im Zeichen der Gewaltlosigkeit ernst und bezieht darum in besonderer Weise die Opfer mit ein, aber nicht im Sinne des Faktischen, sondern so, dass Opfer künftig vermieden werden müssen.
Der pessimistische Titel des Buches (aus Jeremia 6,14) wirkt als beunruhigendes Steuerungselement durch alle Beiträge hindurch. Schaden abwehrende Lösungsansätze für einen gerechten Frieden scheinen an der konfliktbeladenen Realität der heutigen Welt zu scheitern.
Vielleicht wäre es insgesamt weiterführender gewesen, wenn Beispiele konsequenten Pazifismus und der christlichen Friedensbewegung sowie Praktiken der Gewaltlosigkeit wie die von Gandhi oder Martin Luther King in diesem Kontext intensiver bedacht worden wären.
Vgl. auch den weiteren von Leopold Neuhold herausgegbenen Band:
Muss arm sein? Armut als Ärgernis und Herausforderung. Theologie im kulturellen Dialog, Band 15. Innsbruck 2008

Rezension: hier
Reinhard Kirste

Rz-Neuhold-Frieden, 11.07.14 

Dienstag, 1. Juli 2014

Buch des Monats Juli 2014: Konstantin Wecker - Engagement und Vision



Konstantin Wecker: Mönch und Krieger.
Auf der Suche nach einer Welt, die es noch nicht gibt.

Gütersloher Verlagshaus 2014, 288 S. --- ISBN 978-3-579-07066-7

Ausführliche Beschreibung
Konstantin Wecker (geb. 1947) gehört zu den Menschen, die die Spannungen und Extreme ihres Lebens in poetischer und politisch engagierter Weise in Text und Lied umsetzen. Immer wieder klingt eine gewisse Schwermut durch. Sein neuestes Buch ist eine Art Rechenschaftsbericht der besonderen Art, der sich bewusst der Zukunft öffnet. In den Gestalten von Mönch und Krieger versucht er dies auf den Punkt zu bringen. Das Verhältnis von „Mönch und Krieger“ bewegt den Pazifisten Wecker schon seit langem. Das kam bereits in dem Buch sehr schön zum Ausdruck, das er mit dem Zen-Mönch Berhard Glassmann zusammen verfasste: Es geht ums Tun und nicht ums Siegen. Engagement zwischen Wut und Zärtlichkeit. (2011)  Rezension: hier
Was hier zuerst irritierend und auseinanderklaffend wirken mag, ist in der buddhistischen Zen-Tradition beeindruckend vereint, wenn dort etwa von der „Kunst des kampflosen Kampfes“ gesprochen wird (z.B. Meister Takuan Soho, 1573–1645). Wecker formuliert das so: „Der Mönch und der Krieger, einträchtig in einer einzigen Person vereint – das erscheint wie eine Utopie. Ebenso utopisch mag es anmuten, sich eine Welt zu denken, in der spirituelle Versenkung ebenso ihren Platz hat wie der aktive Einsatz für eine gerechtere Welt. Vielleicht ist die Versöhnung von Gegensätzen ja das Utopische schlechthin, scheinbar am wenigstens entfernt von jeglicher Realisierbarkeit im Jetzt“ (S. 11). Übrigens entstammt der Buchtitel aus einer Zeile des Liedes „Irgendwann“ von 1989: „Mönch und Krieger – nachts am Strand mal ich Verse in den Sand“ (S. 7). 


Nun ist Biografisches von Prominenten durchaus im Trend. Vermutlich würde man auch dieses Buch schnell wieder beiseitelegen, wenn nicht das innere Ringen, die ehrliche Auseinandersetzung und das eigene quälende Scheitern zum Ausdruck kämen. Sie sind untrennbar verbunden mit der Sehnsucht nach Freiheit. Diese Sehn-Sucht zielt immer dahin, das innerste Potenzial des eigenen Menschseins ans Licht zu heben, ohne dabei dem Egozentrismus zu verfallen.
„Ich bin ja immer sehr für die Freiheit eingetreten, aber ich habe es kaum jemals geschafft, frei zu sein von meinen eigenen Trieben. Dazu bin ich wohl zu sehr Genussmensch … Langfristig eignet sich für mich wohl nur ein spiritueller Weg, der sich nicht zu sehr auf Askese und Sinnenfeindlichkeit versteift“ (S. 19). Wecker sieht hier in Jesus einen Bundesgenossen, der zwar auch fastete, aber es auch liebte, mit Menschen freundschaftlich zusammen zu sein. Der Liederpoet aber könnte sich auch auf den Buddha selbst berufen, der sich von der strengen Askese entfernte und nach seinem „Erwachen“ den „Weg der Mitte“ propagierte.

Für die Öffentlichkeit und auch im Buch zeichnen sich drei Lebensphasen des Konstatin Wecker ab: Zuerst der kreative Musiker und Dichter im Lichte der Erfolge eines gesellschaftlich und politisch sensiblen Publikums in den 70er und 80er Jahren. In der zweiten Phase angesichts seines Drogenkonsums und der damit zusammenhängenden Gefängniszeit stürzte sich die Boulevardpresse auf seine Skandale, ohne ihn als sensiblen und scharfsinnigen Künstler wahrzunehmen. Weckers ehrliche Umkehr von diesem Leben zwischen Sucht und Absturz gibt nun endlich – in der dritten Phase – wieder den Blick frei für den Chanson-Sänger. Er gehört ohne Zweifel zu den herausragenden Köpfen der gesellschaftskritischen Liedermacherszene. Seine Tournee mit der daraus entstandene CD „Zwischen Wut und Zärtlichkeit“ (2011) bringt ziemlich genau auf den Punkt, worum es Wecker in dieser seiner „dritten“ Phase nun geht. Es ist die bewusste Auseinandersetzung mit Liebe, Leiden und Tod, mit der unauslöschlichen Sehn-Sucht nach spiritueller Vertiefung, die zwischen lichtvoller Ekstase und dunkler Schmerzerfahrung liegt. Seine Worte und Klänge aber bleiben – wie schon in seinen „frühen Jahren“ – zugleich politischer Protest. All dies ist eingebettet in ein faszinierendes Spannungsfeld von Kunst und Kreativität, verbunden mit philosophischen Gedanken sinnstiftender Vertiefung.

In dieser Weise und nicht im Sinne einer Art Lebensbilanz stellt der Liedermacher darum Brennpunkte, Schlüsselerlebnisse und Knackpunkte seines Lebens vor. An den Anfang der einzelnen “Kapitel“ stellt er jeweils als Motto eines seiner Lieder. Sie nehmen ein Stück weit vorweg, was er weiter sagen will: Trotz eines unerquicklichen Religionsunterrichts öffnete er sich dem Göttlichen. Fragwürdige Gottesbilder zertrümmerte er, weil sich in ihm immer wieder diese transzendierende Sehn-Sucht meldete. Die Zeit im Gefängnis wegen seiner Drogendelikte wird zur verinnerlichten „Bewährung“. 
Er beschreibt – abseits jeglicher Moralisierung die Droge in ihrer Ambivalenz und das Hineingeraten in die Sucht als gefährliche Sackgasse. Sie versperrt das Paradies, das doch eigentlich durch sie gesucht wurde. Konstantin Wecker stellt sich immer wieder seinem Schatten und bricht auf – durch Niederlagen nicht entmutigt – um den Höllen zu entkommen. Mit aller Kraft will er der Lüge durch Anpassung widerstehen und als gottlos Gläubiger die Utopie, den „Nicht-Ort“ zu finden. Auf diese herausfordernde Weise hört er nicht auf, den Protest und die Revolution der Friedfertigen voranzutreiben. Immer wieder ergreift er mit seinen Liedern darum eindeutig Partei und versucht, ganz aktuell-dramatisch-bewegende Situationen sich selbst und seinen Hörern bewusster zu machen. Er ist dabei konsequent auf der Seite der Erniedrigten, der Ausgegrenzten, der Opfer und der beiseite Geschobenen:
„… und so müssen wir es machen: Singen, weil wir ein Lied haben, und weiterkämpfen, weil wir gar nicht anders können … Auf diese Reise kann ich – so hoffe ich – mein Publikum mitnehmen: auf die Reise ins Unerklärliche, Wunderbare, Geheimnisvolle. Und ja – warum auch nicht? –, dann schmettern wir eben von >da oben< den grausamen Choral von der Ungerechtigkeit der Welt und die überirdische Melodie von der Zärtlichkeit des Daseins“ (S. 224, 225). In diesen Erfahrungen kommt eine neue Zeitdimension zur Sprache: das Zusammenfallen von Zeit und Ewigkeit im Augenblick – und so wird jenseits aller Heilslehren Gott selbst vernehmbar (S. 226, 227).

Konstantin Wecker hat von sich ein mutiges Lebensbild sprachlich beeindruckend gezeichnet. Er verleiht damit der Verteidigung solidarischer Menschlichkeit eine besonders glaubwürdige Stimme – der wahrhaften Demokratie zu Ehren. Die Lektüre sei darum allen jungen und alten Suchenden besonders empfohlen.
Reinhard Kirste
 Rz-Wecker-Mönch, 30.06.14