Freitag, 26. August 2016

Kurz vorgestellt: Raumöffnungen für vielfältige Religiosität

978-3-89445-532-3©Jonas VerlagEKD-Institut für Kirchbau
und kirchliche Kunst
der Gegenwart Marburg (Hg.):
Open Spaces
Räume religiöser und
spiritueller Vielfalt
 

KBI 10- Kirchbau Institut Marburg
Marburg:  Jonas Verlag 2016, 176 S., Abb.
Es gibt zahlreiche Beispiele für die Begegnung von verschiedenen Religionen in der modernen Zivilgesellschaft. In der Gestaltung von multireligiösen Räumen verschafft sich die Begegnung Ausdruck und konkrete Form. In Flughäfen, Krankenhäusern, ehemaligen Kirchen oder Universitäten, in Landschaftsparks, Parlamentsgebäuden und Schulen sind sie zu finden.
Dieser Band stellt anhand der Bilder einer Ausstellung die Vielfalt solcher Räume vor. In den Beiträgen aus unterschiedlichen Perspektiven von Theologie, Kunst­ und Religionswissenschaften, Architektur, Fotografie und Soziologie werden verschiedene Aspekte reflektiert, die für die Gestaltung wichtig sind.

Dienstag, 9. August 2016

Ernst Renan: Bleibende Anstöße des Islamverständnisses

Birgit Schäbler: Moderne Muslime. Ernest Renan
und die Geschichte 
der ersten 
Islamdebatte 1883. Paderborn: Schöningh 2016286 S., Abb.
--- ISBN: 978-3-506-78418-6 ---
Verlagsinformation
Im März 1883 hielt der  Religionswissenschaftler Ernest Renan in Paris einen Vortrag über »den Islam und die Wissenschaft«. Darin äußerte er sich negativ über die Geschichtsfähigkeit des Islam und behauptete, Islam und Moderne stünden im Widerspruch. Die Muslime kennzeichne unter anderem »der Hass der Wissenschaft«. In Istanbul, Kairo, St. Petersburg, Persien und Indien griffen muslimische Intellektuelle zur Feder, um die Thesen Renans zurückzuweisen.
Die Sprengkraft dieser ersten Islamdebatte, die transkulturell geführt wurde, war so groß, dass ihre Spuren bis heute nachwirken. Birgit Schäbler erzählt die Geschichte der Debatte und verfolgt ihre Entwicklungslinien bis in die Gegenwart. Darüber hinaus präsentiert das Buch erstmals die drei
   wichtigsten Kontrahenten Renans und ihre Texte. Die Autorin zeigt, wie Renan und
   andere europäische Gelehrte durch ihre »Islamisierung« des Islam  und des Orients
   zur Verschärfung der Auseinandersetzung
   beigetragen haben – und wie umgekehrt muslimische Intellektuelle dies selbst aufgriffen.
  Am Ende steht die Erkenntnis, dass die Streitenden vieles gemeinsam hatten.
  Sie alle versuchten, die Religion  mit der Moderne in Einklang zu bringen
  und ihre Gesellschaften zu reformieren. Alle waren sie »Apostel der Moderne«.

   Inhaltsverzeichnis und Leseprobe: hier

  Zur Auseinandersetzung mit Ernest Renan
  durch Jamal al-Din al-Afghani (Clio online)


   

           Pressestimmen

     Deutschlandradio Kultur06.08.2016:
      Anne Françoise Weber stellt das Buch in der Sendung "Lesart" vor. 

     
Hier geht es zum Beitrag  

       Deutschlandfunk11.07.2016:
     In der Sendung "Andruck" sprach Birgit Schäbler mit Matthias Bertsch
     über das Thema ihres Buches. 
     
Der Beitrag kann hier nachgehört werden.



Freitag, 5. August 2016

Kurz vorgestellt: Die Symbolik von Borobudur





Die Islamische Welt im Umbruch - von 1900 bis heute

Reinhard Schulze: Geschichte der Islamischen Welt.
Von 1900 bis zur Gegenwart
  
München: C.H Beck 2016, 767 S., 7 Karten
--- ISBN 978-3-406-68855-3 ---
Grundlegend neu bearbeitete, 
aktualisierte und erweiterte Fassung des Buches
Geschichte der islamischen Welt im 20. Jahrhundert
 
(C.H. Beck 1994)
Als Reinhard Schulze,
Professor für Islamwissenschaft an der Universität Bern,

1994 in der  "Geschichte der islamischen Welt
 im 20. Jahrhundert" (überarb. Aufl. 2002)
die schwierigen Prozesse der Modernisierung

beschrieb und „Abschied von den Märchenländern“ nahm,
hat er dies nun ergänzt, erweitert und vertieft. 
Denn seit damals hat sich die Konfrontation zwischen dem Westen
und den islamischen Ländern verschärft:
11. September 2001, der Irakkrieg,

arabischer Frühling und Syrien sowie der „Islamische Staat“
 verleiten zur These: 

Islam und Terror gehören zusammen.
Schulzes Themen sind in der neuen Fassung gleich geblieben:
Fünf der ursprünglich sechs Kapitel hat er ergänzt: Die Überschriften,
auch der jeweiligen Unterabschnitte sind weitgehend unverändert. 
Er bietet Aktualisierungen zur Geistes-, Kultur- und politischen Geschichte
der islamischen Länder seit 1900 - insgesamt nun sieben große Kapitel.
Die Einleitung (S.13ff) skizziert originell die Geschichte der Islamischen Welt
von 1900 bis zur jüngsten Gegenwart. 

Das detailreiche Kapitel 1 steht unter dem Thema: 
Islamische Kultur und koloniale Moderne 1900–1920
Die Vision von einer islamischen Souveränität (S. 35 ff.) beginnt mit Der Umbruch 1905–1909:
Die Durchsetzung des nationalstaatlichen Konstitutionalismus (S. 46). 
Danach folgt: Die islamische Welt um 1900 (S. 46) – Die islamische Welt aus der Sicht 
eines muslimischen Intellektuellen (S. 49), Die arabische Halbinsel zu Beginn des 20. Jahrhunderts (S. 51)
 – Hegemoniale Konflikte (S. 53); Koloniale Krise und Konstitutionalismus (S. 57)
 – Politische Ideologien am Vorabend des Krieges (S. 59) und Konstitutionelle Forderungen (S. 63).
In Kapitel 2: Bürgerlicher Nationalismus und staatliche Unabhängigkeit 1920–1939
Es geht um das Kalifat zwischen Republikanismus und Royalismus, und zwar so aufgeschlüsselt: 
Die tripolitanische Republik (S. 99) – Die Rif-Republik (S. 102) – Die Abschaffung des Kalifenamts (S. 105)
– Indische Reaktionen (S. 110) – Der Konflikt um den Ḥiǧāz (Hedschas) 1924–1926 (S. 111) 
– Die Suche nach einem neuen Kalifen (S. 117), Islamische Nationalpolitik und die Deislamisierung
der politischen Öffentlichkeit (S. 118), Turkestan unter sowjetischer Herrschaft (S.121)
– Die Erhebung der Basmači (S. 124) – Islamischer Nationalkommunismus in der UdSSR 126
– Neue Ordnung in Afghanistan 129 – Die Rettung der Monarchie in Persien (S. 134)
– Islamische Politik in Algerien (S. 136) – Indonesische Formen islamischer Politik (S. 139).
Es folgt Die Weltwirtschaftskrise und die neuen islamischen Bewegungen: 
Die Weltwirtschaftskrise in der islamischen Welt (S.145); 
Die Gründung der ägyptischen Muslimbruderschaft (S. 149)
– Islamische Politik und Palästina (S. 154) – Die politische Transformation (S. 161ff.) 
und Faschismus in der islamischen Öffentlichkeit (S. 169).
Das Kapitel 3: Die Zeit der Restauration 1939–1958: Die islamische Welt im Zweiten Weltkrieg (S. 173). 
Kriegsfolgen (S. 174) – Wechselnde Bündnisse (S. 177) – Ein oder zwei Indien? (S. 179)
– Islam im Rahmen einer Staatsideologie: Indonesien (S. 183) 
– Die politische Wende in Marokko und Algerien 187; 
islamische Politik (S. 195) – Neue Staatsgründungen in der islamischen Welt (S. 199); Pakistan 1947 (S. 200)
– Israel / Palästina 1948 (S. 202) – Libyen 1951 (S. 207) – Das Scheitern der Nationalisten im Jemen (S. 209),
Die «liberale Dekade» oder die Revolte gegen die alte Ordnung (S. 212). Die ägyptische Republik (S. 212)
– Die Islamische Befreiungspartei in Palästina (S. 215) – Nationalpolitik im Iran 1951–1953 (S. 216)
– Das Ende der «Liberalen Dekade» (S. 220) sowie Saudi-Arabien (S. 222).
Aufschlussreich stellt das Kapitel 4 dar: 
Islamische Kultur und Republikanismus der Dritten Welt 1956–1973
mit diesen Unterthemen:
1.  Der Triumph der Dritten Welt (S. 227), Suez 1956 (S. 228)
– Islam als Kultur der nationalen Befreiung (S. 231)

– Der Niedergang des Royalismus (S. 233) – Libanon und Syrien 1958 und Irak 1958 
sowie Republikanismus im Jemen (S. 241).
2.  Die Kultur der Nationalen Befreiung (S. 244): Algerien im Krieg (S. 244)
– Islamische Nationalpolitik in Nordafrika (S. 251) – Regionalismus und Revolution in Indonesien (S. 256)
– Algerien auf dem Weg in den Einparteienstaat (S. 260).
3.  Der islamische Block und der Beginn der saudischen Hegemonie: 
Saudi-Arabien und die neue islamische Öffentlichkeit (S. 262)
– Islam als Ideologie der sozialen Befreiung (S. 267)
– Islamische Dissidenten in Iran (S. 270) – Der Stellvertreterkrieg im Jemen (S. 273)
 – Der baʿṯ an der Macht (S. 276).
4.  Der Niedergang des Republikanismus der Dritten Welt (S. 281).
Eine neue palästinensische Nationalpolitik und der Sechs-Tage-Krieg (S. 285) und:
Die saudische Hegemonie setzt sich durch (S. 290); Der Rückzug aus dem Jemen (S. 294)
– Die Durchsetzung der PLO und die islamische Öffentlichkeit (S. 296)
– Islamischer Republikanismus in Libyen (S. 299).
In Kapitel 5 wird beschrieben: Die Durchsetzung der islamischen Ideologien 1973–1989:             
1.  Die Krise der Jahre 1973 und 1974; Der Beginn der politischen Sezession (S. 301)

– Die Sezession von Bangladesch (S. 306); Die neuerliche Rekonstruktion der islamischen Öffentlichkeit:
Asketische Lebensmodelle der Praxis in Saudi-Arabien als Ausdruck eines neuen sozialen Standards
beeinflussten zunehmend den islamischen Diskurs (S. 312). Transnationale Verflechtungen (S. 313)
– Staatliche Reaktionen, der Oktoberkrieg und der Ölboom (S. 315)
– Die Politik der wirtschaftlichen Öffnung (S.319)
– Islamische Avantgarden in Ägypten (S. 321).
2.  Ethnizität und die Vollendung der islamischen Ideologien. Ethnizität und Befreiungsbewegungen
in der islamischen Welt (S. 327) – Perspektivwechsel im politischen Feld (S. 330)
– Der Krieg in Libanon (S. 333)
– Der Islam als Instrument nationalstaatlicher Restauration: Malaysia und Sudan (S. 335) 

– Islamische Politik in Malaysia 335 – Politischer Partikularismus im Sudan 337 
– Neue Fronten: der ägyptisch-israelische Friedensschluss (S. 339)
– Die islamische Revolution in Iran (S. 342).
3.  Anni horribiles in der islamischen Welt: 1979–1989 (S. 349ff.): Die Krise von Mekka 1979 (S. 350)
– Der Krieg in Afghanistan und die Islamisierung Pakistans (S. 354); 
Der iranisch-irakische Krieg (S. 364); 
Die Aporie der islamischen Bewegungen (S. 369); Die gescheiterte Islamisierung im Sudan (S. 374)
und Brotunruhen in den achtziger Jahren (S. 377)
– mit Diskreditierung der Idee einer „Islamischen Wirtschaft“ 
(S. 378ff., dazu CNRS-DFG-Projekte, etc. 1986-91).
Daraus folgte eine erste Umwertung der islamischen Ideologien (380ff).
Im 6. Kapitel folgt nun „Die Erosion der islamischen Öffentlichkeit“ 
Der Autor analysiert ausführlich jene anni horribiles zwischen 1979 und 1989:
1.  Eine mythische Erneuerung des Nationalismus?
Der Zusammenbruch der ideologischen Welten (S. 385);
Erhebung in Israel/Palästina (S. 390) und Kriegsende in Libanon (S. 395). 
Schulze hebt besonders hervor: 
Der Krieg um die Hegemonie über Afghanistan (1987–1994) [S. 398] 
sowie die ethnische und islamische Sezession
in der UdSSR (S. 400) mit den Tschetschenien-Kriege (S. 407ff). Das sind spannende Beschreibungen.
2.  Die islamische Welt nach dem Ende des Ost-West-Konflikts (S. 415)

– Verkehrte Fronten: der Krieg um Kuwait 1990/91 (S. 420)
– Das Plädoyer für eine «offene islamische Gesellschaft» (S. 424)
 – Algerische Bemühungen um die Demokratie (S. 425)
– Desintegration der Gesellschaft in Algerien (S. 431).
3.  Vom Ende der Hoffnung auf eine islamische Souveränität: Kein neuer Royalismus (S. 438)

– Ethnisierung des Islam: Der Krieg in Bosnien-Herzegowina (S. 441) – Gescheiterte Staaten
– Gescheiterte Gesellschaften: Somalia (S. 445) – Islam, Ethnizität und Ultrareligiosität (S. 450).        
4.  Zwischen Zivilgesellschaft und Militanz, Religion und Gesellschaft als normative Ordnungen (S. 456);

Die verspätete Globalisierung und die Vorboten der Revolte (S. 460)
 – Islamische Demokratisierung in Iran (S. 471)
– Der Umbruch in Indonesien (S. 475) – Die Modernisierung der islamischen Öffentlichkeit in der Türkei (S. 480)
– Der transnationale Terrorismus von al-Qāʿida und die Bewegung der Ṭālibān (S. 487)
– Die palästinensische Autonomie (S. 502)
 – Der Zusammenbruch des Irak (S. 510) und Das Scheitern einer Einheit im Jemen 1993–2011. 
Die sowjetische Besetzung Afghanistans und deren gewalttätige Folgen, 
die Golfkriege, der Bürgerkrieg in Algerien
und zu viele Konflikte zerstörten das Vertrauen in die Eliten, die durch social engineering 
die Gesellschaften entwickeln wollten.
Ein neues Kapitel 7 präsentiert den Arabischen Frühling und die Jahre danach“ (S. 521ff)
mit diesen Gesichtspunkten1.  Das Verharren der republikanischen Ordnung und
2.  Der Beginn der arabischen Revolten mit Sturz des Regimes in Tunesien (S. 528)

und Der politische Umbruch in Ägypten sowie die Rückkehr der alten Ordnung (S. 531).       
3.  Revolte als Krieg:  
Ultraislamische Bünde und soziale Nischen (S. 537) – Syrien im Krieg (S. 540)

 – Libyen 2011–2015 (S. 544)
4.  Neue Fronten: Konfessionalisierung im Jemen und in Baḥrain und 

Der jemenitische Krieg 2012–2015 551 – Revolte in einem Königreich: Baḥrain (S. 556) sowie
5.  Ultraislamische Bünde als neue territoriale Macht? (S. 559). Der «Islamische Staat» (S. 559)
 – Boko Haram in Nigeria (S 567) – Ethnizität und ultraislamische Bünde in Mali (S. 569). 
Dies wird in den genereller Kontext von Gesellschaft, Wirtschaft, Politik, Technik, Nation, Kultur, Fortschritt, 
Zivilisation eingebunden – Begriffe der Moderne die eine spezifische „islamische Rede“ (Schulze) formten. 
Das fremde Konzept des Nationalstaates brachte 56 Nationalstaaten, 41 davon sind koloniale Schöpfungen. 
Ausführlich als Folge des totalen Scheiterns der Eliten wird der Arabische Frühling behandelt. 
Die Entwicklungen,die mit der immer größer werdenden islamischen „Diaspora“ 
in Amerika und Europa sowie die wachsende Interdependenz der Kulturen könnten 
unter der Fragestellung Europäischer Islam? vertieft werden.
Bilanz
Reinhard Schulze schreibt als einer, der mit diesen Themenbereichen seit langem vertraut ist.
Er analysiert die Zusammenhänge in diesem Standardwerk für die islamische Geschichte
durchaus anspruchsvoll und zugleich vorbildlich. 
Angesichts der historischen wie der geographischen Breite der Ausführungen
– von Marokko bis Indonesien und von 1900 bis heute – skizziert er das Entscheidende
hoch kompetent.
Terrorakte und Flüchtlingsströme aus den Krisengebieten nach Europa bringen erneut Fragen, 
die mit einem differenzierteres Bild der islamischen Welt und ihrer unterschiedlichen Gesellschaften
einer Lösung leichter näher gebracht werden können. Das Internet beschleunigt dies 
sowohl in der westlichen als auch in der islamischen Öffentlichkeit.
Das detailreiche Buch sowie der Rückblick und Ausblick (S. 573ff) bringen abstrahierend die 
Ideenwelt und Realität zur Sprache und ermöglichen so einen umfassenden Überblick. 
Der Autor arbeitet das Versagen der einheimischen Eliten (Ägypten, Syrien, usw.) gut heraus.
Generell für das Verständnis der islamischen Welt ist dies ein vorbildliches Werk. 
Denn diese Publikation bringt informativ, kritisch und spannend fundierte Einblicke in die Probleme. 
Man findet hier eine wichtige Lektüre sowie einen adäquaten Anhang: 
Glossar, Literatur- und Stichwortverzeichnis, Zeittafel, Register und Karten (S. 585 ff.).
                                        Prof. em. Dr. Eckhard Freyer, Bonn
                                   
Rz-Schulze-Islam-Freyer
 05.08.16 


Dienstag, 2. August 2016

Kurz vorgestellt: Weltweite religiöse Gewalt-Problematik


Fernando Enns / Wolfram Weiße (Hg.):

Gewaltfreiheit und Gewalt
in den Religionen

Politische und theologische Herausforderungen
Münster: Waxmann 2016
Religionen im Dialog,  Band 9,  332 S. 
--- ISBN 978-3-8309-3382-3 ---





 Die Themen Aggression, Mord und Krieg durchziehen unsere Geschichte – nach der Hebräischen Bibel schon seit dem Brudermord von Kain an Abel. Religionen haben dabei oft eine Rolle gespielt, indem sie Gewalt überhöht haben oder indem sie als Legitimation für Gewaltanwendung angeführt wurden. Religionen haben aber immer auch für eine Eindämmung von Gewalt und für Frieden gestanden. Dies gilt für die Propheten im Judentum ebenso wie für Buddha, Jesus oder Mohammed. Gewaltpotenzial und das Eintreten für Frieden bilden somit ein Spannungsfeld, das keine einfachen Antworten auf die Frage nach der Rolle von Religionen zulässt.

Vor diesem Hintergrund und in Auseinandersetzung mit aktuellen politischen Entwicklungen kommen in „Gewaltfreiheit und Gewalt in den Religionen“ Vertreter der Religionen, politische Akteure, Religions- und Politikwissenschaftler sowie Theologen zu Wort. In dem von Fernando Enns und Wolfgang Weiße herausgegebenen Band zeigen sie ihre Sicht auf die Themen Gewalt, Gewaltfreiheit und Religion und fragen nach alternativen Denk- und Handlungsspielräumen in den Religionen.

Pressestimmen

Dieses Buch ist außergewöhnlich aus verschiedenen Gründen. Sein Thema ist hochaktuell, bietet deshalb Orientierung bis ins Praktische hinein. Gleichzeitig wird es hohen wissenschaftlichen Ansprüchen gerecht […] 
Insgesamt haben wir hier ein hochdifferenziertes, erfeulich nicht-provinzielles Werk
mit vielen Bausteinen für theoretische und praktische Weiterarbeit vor uns. 
Ökumenische Rundschau, 2/2016

Montag, 1. August 2016

Buch des Monats August 2016: Position beziehen

Friedrich Schorlemmer: Unsere Erde ist zu retten.
Haltungen, die wir jetzt brauchen.

Freiburg u.a:. Herder 2016, 157 S.
--- ISBN 978-3-451-34978-2  ---
In einer Zeit sich überstürzender Gewaltereignisse ist ethische Orientierung besonders wichtig. Aber oft sind nicht die moralischen Appelle das Entscheidende, sondern die Menschen, die sie zum Ausdruck bringen. 
Der evangelische Pfarrer Friedrich Schorlemmer (geb. 1944) aus Wittenberg gehört zu diesen Persönlichkeiten, denn er steht für das ein, was zu sagen notwendig ist.
Das hat er bereits in der DDR gezeigt, als er – der engagierte Friedensaktivist – in einer Symbolaktion im September 1983 mit Gleichgesinnten ein Schwert zu einem Pflug umschmiedete.
Damit sollte zum Ausdruck gebracht werden, dass das Wunder Erde friedlich erhalten bleiben muss. So gehören für ihn das Lob der Schöpfung und die Sorge um die bedrohte Erde zusammen (S. 17).

Hinzu kommt, dass Schorlemmer eine klare wirkmächtige Sprache hat, der es gelingt, die Dinge sehr schnell auf den Punkt zu bringen. Vor uns liegt ein engagierter Essay, der nicht belehren, sondern verdeutlichen will, nämlich dass die Zeit des Zusehens, Nicht-Handelns und Gewährenlassens endgültig vorbei ist.
Der Einstieg in das Thema wirkt wie eine sanftmütige Provokation. Der ehemalige Prediger an der Wittenberger Schlosskirche schreibt als Prolog einen Brief an den „Bruder“ Papst Franziskus und versucht damit eine Brücke der Versöhnung vom Wittenberg der Reformation nach Rom, dem Zentrum der Katholischen Kirche, zu schlagen. Den Protestanten fasziniert, wie der Papst sich auf die Seite der Elenden und Unterdrückten stellt und die Verantwortung für die geschundene und höchst gefährdete Erde anmahnt. Die päpstliche Enzyklika „Laudato Si“ wird für den Pfarrer darum zu einem Weckruf. Die direkten und indirekten Bezugnahmen darauf durchziehen das ganze Buch.
Die einzelnen Abschnitte des Buches sind von ökumenischer Weite geprägt. Denn die Erde ist das Haus Gottes für alle Menschen. Solche religiöse Vorgabe ist Anlass, dankbar zu singen. Man muss sich allerdings auch um die die drohenden Gefahren in einer globalisierten Welt Sorgen machen, damit nicht die Nachkommen an den weitgehend selbst gemachten Problemen zugrunde gehen. Von daher fordert Schorlemmer Haltungen ein, „die unsere Welt braucht“: An Albert Schweitzer erinnernd, nennt er die Ehrfurcht vor dem Leben. Es folgen: Verantwortung übernehmen, Vorausdenkend handeln, Eingreifen und tun was recht ist, Den Weg des Friedens gehen, Umdenken und umsteuern, Einfach dankbar sein, Barmherzigkeit üben, Zu sich selber kommen, Staunend leben.
Bei allen Zukunftsträumen erinnert Schorlemmer daran, dass nicht mehr viel Zeit zum Umsteuern bleibt. „Alles Voll-und Großmundige ist uns vergangen mit dem Scheitern des Sozialismus, mit der nach Ende der Blockkonfrontation ausgebliebenen Friedensdividende, mit dem Desaster der Weltarmutskonferenz der UNO in Rom, mit der Mauer der Aussichtslosigkeit durch das Heilige Land, mitten durch die interreligiöse Hoffnungsstadt Jerusalem“ (S. 26). Aber gegen die erdrückenden Erfahrungen von Konflikt, Leid, Hunger, Flucht, Klima-Katastrophe setzt der Autor ein positives „Vielleicht“:
„Das Vielleicht bricht den Kreislauf des erbarmungslosen Faktischen, der eisernen Notwendigkeiten, der unbeeindruckbaren Kausalitäten auf“ (S. 26).
Der Schlussabschnitt des Buches ist ein doppelter Epilog. Schorlemmer lässt eine 1982 unter den Bedingungen der DDR formulierte Vision erneut aufleuchten „Eines Tages / als wir erwachten / war alles verändert“ (S. 148): Es wäre der wahr gewordene Traum von menschenwürdigen Städten und Dörfern, einer gesundeten Landschaft, von ökologisch verantwortlichen Fortbewegungsmitteln und einer Gesellschaft, in der die Verdienstunterschiede minimal wären (S. 149). Es ist und bleibt die Vision einer glücklich machenden Einfachheit, die nichts mit Einfältigkeit zu tun hat. Dieser Vision schließt Schorlemmer Pfingsten 2016 die konkrete Utopie für ein Ökumenisches Konzil an. Dieses „solle sich ausdrücklich davon fernhalten, gegenseitig Häresien zu identifizieren. Man solle kommunizieren, nicht exkommunizieren“ (S. 153). In Hans Küngs Weltethos sieht er dafür einen wichtigen Ansatz. Die historischen Konfessions-Differenzen müssten zweitrangig werden.
Es wäre noch schöner gewesen, wenn Schorlemmer in seiner Vision eines Ökumenischen Konzils ausführlicher die anderen Religionen mit einbezogen hätte (vgl. S. 152) Immerhin  gibt es solche religiösen Friedenspotentiale, wie sie zum ersten Mal beim Weltparlament der Religionen schon 1893 in Chicago angesprochen wurden. 1993 – ebenfalls in Chicago – nahmen zahlreiche Vertreter/innen der verschiedenen religiösen Traditionen die Vision einer versöhnten Welt wieder auf, indem sie auf die starken Tendenzen zum Frieden, Barmherzigkeit und Liebe innerhalb ihrer jeweiligen Religion verwiesen. Dieses „Parlament“ tagte seitdem mehrfach und zuletzt 2015 in Salt Lake City. Bereits 2009 hatte  die bekannte Religionswissenschaftlerin Karen Armstrong eine Charter of Compassion initiiert. Konfessionen und Religionen übergreifend wird an das Mitverantwortlichsein in der Welt erinnert:  Nur Kompassion, Mitfühlen und Mitleiden können Wege für eine friedliche und heilvolle Zukunft eröffnen !  

Friedrich Schorlemmer hat mit diesem Buch einen beeindruckenden Anstoß gegeben.
Seine Herausforderung müsste zügig im Sinne der größeren Ökumene der Religionen angenommen und weiter umgesetzt werden. 
Damit der Traum nicht ein Traum bleibt … 
Die Zeit drängt. Das DDR-Friedenssymbol mit dem Bezug auf den Propheten Micha (4,1-8) Schwerter zu Pflugscharen gilt gerade in unserer von Konflikten und Terror beunruhigten Zeit, und zwar in jeglicher ethischen Hinsicht: Für den Frieden, für die Völkerverständigung, für die Erfüllung menschlicher Grundbedürfnisse, für die Menschenrechte, für den Dialog der Religionen …
Reinhard Kirste 

Rz-Schorlemmer-Ethik, 31.07.16