Karl-Josef Kuschel:
Im Fluss der Dinge.
Hermann Hesse und Bertolt Brecht
im Dialog
mit Buddha, Laotse und Zen.
Im Fluss der Dinge.
Hermann Hesse und Bertolt Brecht
im Dialog
mit Buddha, Laotse und Zen.
Ostfildern: Patmos 2018, 715 S., Personenregister
--- ISBN 978-3-8436-1042-1 ---
--- ISBN 978-3-8436-1042-1 ---
Interreligiöse Bibliothek (IRB):
Buch der Monats 2018
Buch der Monats 2018
Zusammenfassung
am Schluss der Rezension
English summary
at the end of the review
am Schluss der Rezension
English summary
at the end of the review
Vielleicht sollte man bei diesem
umfänglichen Werk mit dem Nachwort beginnen. Dort erläutert der bekannte
Tübinger Theologe, wie sich seine dialogische Arbeit im Horizont der Literatur über
Jahrzehnte entwickelt hat. Denn der inzwischen emeritierte Professor für
Theologie der Kultur und des interreligiösen Dialogs an der Katholischen Fakultät
Tübingen hat Literatur in Prosa und Poesie kontinuierlich in sein
Forschungsfeld einbezogen. So hat er sich intensiv u.a. mit G.E. Lessing,
Heinrich Heine, Thomas Mann, Martin Buber und Rainer Maria Rilke auseinandergesetzt.
Und nun ausgerechnet die Antipoden Hermann Hesse und Bertolt Brecht! Beide
weltberühmt und auch in Asien viel gelesen; und doch unterscheiden sich die
beiden in ihrem Werk grundlegend. Und das Erstaunliche geschieht: Trotz
unterschiedlicher Zugänge verändert die Begegnung mit den geistigen Welten
Indiens, Chinas und Japans den mehr nach innen gekehrten Hesse und den dichterisch-politisch
stark nach außen wirkenden Brecht.
Das Buch hat zwei
große Teile. In Teil A geht Kuschel
den Versuchen von Hermann Hesse (1877–1962)
nach, einen eigenen Weg zwischen
Christentum, Buddhismus und Taoismus zu finden. Der Teil B ist den Annäherungen von Bertolt Brecht an das Theater
Chinas und Japans gewidmet mit den Konsequenzen für sein eigenes
schriftstellerisches Werk im Horizont politischer Zuspitzungen.
Die Prologe
In zwei Prologen nähert sich Kuschel jeweils
seinem Doppel-Thema an. Im Prolog I zu Hermann Hesse (S. 21–43) und Prolog II zu Bertolt (S. 380–397) folgt er den Spuren der beiden Dichter
vor Ort und in einem ersten Bedenken ihrer jeweiligen Lebensgeschichte. Von
dort entwickelt er eine Art Lebensbild des Dichters vom Bürgertum zur Position des
Klassenkämpfers.
Teil A: Hermann Hesse
Kuschels erinnernde Begegnungen von Hesses (geistiger) Reise in den Osten (Teil A)
führen im Prolog (S: 21–43) zu erläuternden Einblicken in die Lebensgeschichte und die Familienbeziehungen Hermann Hesses. Der pietistisch-missionarische Hintergrund führt jedoch auch zur ersten Kulturenbegegnung mit dem Osten. Es sind die ersten Schritte hin zu einem undogmatischen Verständnis von Christentum und Religiosität. So werden für Hesse „Indien, China und Japan Lehrer und Lebensquellen“, die Kuschel in 10 Etappen abschreitet.
führen im Prolog (S: 21–43) zu erläuternden Einblicken in die Lebensgeschichte und die Familienbeziehungen Hermann Hesses. Der pietistisch-missionarische Hintergrund führt jedoch auch zur ersten Kulturenbegegnung mit dem Osten. Es sind die ersten Schritte hin zu einem undogmatischen Verständnis von Christentum und Religiosität. So werden für Hesse „Indien, China und Japan Lehrer und Lebensquellen“, die Kuschel in 10 Etappen abschreitet.
1.
Ausführlich
beschreibt der Autor im Bücherreich des „Zauberers“ die Wirkungen der
Indienmissionare auf Hesse, die er in Calw kennenlernte (S. 44ff)
2.
Besonders
wird für ihn der Südindienmissionar und Sprachwissenschaftlers Hermann Gundert
(1814-1893) wichtig (S. 49–52). Hier treten angesichts von Hesses
„Sehnsuchtsblicken“ bereits der Philosoph Schopenhauer und wichtige Orientalisten
wie Karl Eugen Neumann ins Blickfeld. Es erfolgt aber ebenso eine Annäherung an
theosophische Lehren.
3.
Erste
schriftstellerische Konfrontationen führen zu bewussten postkoloniale
Wahrnehmungen, u.a. auf dem „Berg der Wahrheit“ (dem Monte Veritá im Tessin).
4.
Seit
1907 beginnen Hesses indische Dichtungen und sein Sich-Einlassen auf den
Buddhismus.
5.
Hoffnung
und innerliches Scheitern bedeutet die Asienreise, besonders in Sri Lanka und
Singapur (1911): Es ist eine „Karambolage mit der Wirklichkeit“ – und doch
Erkenntnis, dass der Westen Religion vom Osten braucht und Kulturfähigkeit
international ist (S. 204f).
6.
Von
daher wird eine „Relektüre“ der Bhagavadgita und die Tiefen- Erkenntnis der
„All-Einheit der Gegensätze“ als „asiatische Botschaft“ angesichts der
Seelenzerstörung durch den Krieg (S. 222f) notwendig.
7.
Auf
dieser Linie kommt es auch zu einer Art Neu-Begegnung mit dem Buddha, und zwar
mit dem geschichtlichen wie mit dem fiktiven. Und dabei erfüllt für Hesse die
ursprüngliche christliche Liebesethik eine Brückenfunktion nach Asien.
8.
Zugleich
ist es ein Weitergehen im doppelten Sinne – geografisch und geistig, denn Hesse
entdeckt dichterisch reagierend auf Konfuzius, den Taoismus und Laotse.
9.
Das
Tao te king (Daodejing) wirkt dafür wie ein Vademecum und die Dichtung wie ein Fährboot,
das im Horizont des Einheits-Denkens zur chinesischen Weisheit führt (S. 325f).
10.
Der
Schlusspunkt dieser Reise aber ist der Zen-Buddhismus, der sich für Hesse als (liebende)
Verbindung von China und Indien herausstellt.
Teil B: Bertolt Brecht
Ähnliche
Etappen (insgesamt 9) verfolgt der/die Lesende nun mit Bertolt Brecht in den „kunstvollen“
Begegnungen mit Laotse und Buddha (Teil B).
Begegnungen mit Laotse und Buddha (Teil B).
Beim Gang durch Brechts letzte Wohnung
in Berlin – sozusagen der Vorlauf Etappe – nimmt Kuschel die Rollbilder
besonders in den Blick, weil sie zum Symbol für Brechts bewegtes und durch die
Zeitumstände unstetes Leben werden: Der Dichter hat sie immer im Koffer bei
sich, wohin er auch kommt.
Die
in der Berliner Wohnung befindlichen No-Masken setzen ein weiteres Signal: Die
Faszination vom Theater Japans. So wirken die Wände in der Wohnung wie eine
Interpretation. Auch die Hommage Brechts an Mao Tse-tung lässt sich von hierher
verstehen, weil sie nicht „von Stalins blutigen Terror entstellt ist“ (S. 387,
vgl. S. 394f).
1.
Der
Gang durch die Wohnung gibt bereits den Blick auf den Scheitelpunkt frei: Brechts Wendung zum Marxismus (S. 394f).
Es gilt, Brecht als Marxisten tiefer zu verstehen; denn hier wechselt einer aus
dem Bürgertum in die Arbeiterklasse. Das hat jedoch differenzierte Auswirkungen
auf Brechts Verständnis, nämlich weg vom Vergnügungstheater hin zum epischen
Theater. Aber der Dichter geht noch weiter: Nicht nur Kritik am Raubtierkapitalismus
wie in der Oper Mahagonny (1930, vgl. S. 401f), sondern immer intensiver der
Aufbau eines experimentellen
Lehrtheaters (S. 405f), das Zen-Buddhistisches spüren lässt. Und natürlich
kommt das chinesische Theater ins Spiel, in dem der Schauspieler Zeigender und
doppelt Gezeigter zugleich ist, nämlich weil er sich in seiner Rolle sichtbar macht. An dieser Stelle lernt
Brecht für sein Theater den „Verfremdungseffekt“ (S. 416f).
2.
Das
ist eine völlig andere Begegnung als diejenige von Hermann Hesse (S. 414f). „Dieser
hatte am chinesischen Theater die uralte Gesetzmäßigkeit bewundert, die
Exaktheit, Ruhe und Harmonie des Geschehens auf der Bühne“ (S. 415).
Es
sei hier angemerkt, dass Brecht im Sinne dieses sich ändernden
Theaterverständnisses auch ein Ruhrepos
plante, das aber nicht zustande kam und durch die „Dreigroschenoper“ (1928)
publikumswirksam „überholt“ wurde. Auf die ziemlich missglückte Wiederbelebung
des „Ruhrepos“ im Juni 2018 in Oberhausen konnte Kuschel leider nicht mehr
eingehen, weil sein Buch bereits im April 2018 erschien. Vgl. Kritik im
Westfälischen Anzeiger online vom 14.06.2018:
https://www.wa.de/kultur/verlorene-oper-ostermaier-arnarsson-ruhrfestspielen-9953185.html
https://www.wa.de/kultur/verlorene-oper-ostermaier-arnarsson-ruhrfestspielen-9953185.html
Kuschel zeigt sehr klar, wie intensiv für Brecht der Lerneffekt
von Asiens Künstlern ist. In seinem epischen Theater geht es um Erörterung von
Lebensfragen (S. 417). Und durch die innere Verbindung seines Theaters mit
Asien gehört er eindeutig zu den großen Theaterreformern. Der Unterschied zu
Hesse fällt hier umso mehr ins Gewicht. Der im Exil lebende Brecht liest die
bedeutenden chinesischen Dichter Li Po und Tu Fu solidarisch im Spiegel der von
ihnen erlebten Bürgerkriege. Er spürt ihnen im Kontext seiner eigenen
Verbannung nach. An Pu Chü-i (772–846) erlernt Brecht dagegen den inneren
Zusammenhang von Kunst, Pädagogik und Sozialkritik. Und schließlich wird Konfuzius
erfolgreiches Vorbild als Lehrer und doch Warnbild zugleich (S. 439f); denn der
große Meister lässt die „gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse der Moral
außer Acht“ (S. 442). Diese Zwiespältigkeit erlebt Brecht an sich selbst im
„sozialistischen Realismus“ der DDR und in unmittelbarer Nähe zum sowjetischen
Kommunismus.
3.
Der
Reichstagsbrand in Berlin (27./28.02.1933) und die Jagd der Nazis auf
Kommunisten wird für Brecht zum Feuerzeichen einer durch viele Länder führenden
Flucht, die vorläufig im dänischen Svendborg (1933–1939) endet. Die
chinesischen Dichter und Denker bleiben dabei auf allen Wegen für Brecht im
orientierenden Blick (z.B. Me Ti und Laotse). Im Zusammenhang mit der
Zerstörung Guernicas durch deutsche Kampfflugzeuge1937 entsteht auch das
„Gleichnis des Buddha vom brennenden Haus“ (S. 456).
und anschließend eine Reihe weiterer Gedichte. Die bedrohlichen Zuspitzungen bis zum 2. Weltkrieg erlebt Brecht intensiv mit. Er setzt sie in produktive politisch aussagekräftige Theaterarbeit um; der Dichter wird nun mehr und mehr international wahrgenommen, übersetzt und gespielt.
und anschließend eine Reihe weiterer Gedichte. Die bedrohlichen Zuspitzungen bis zum 2. Weltkrieg erlebt Brecht intensiv mit. Er setzt sie in produktive politisch aussagekräftige Theaterarbeit um; der Dichter wird nun mehr und mehr international wahrgenommen, übersetzt und gespielt.
4.
Welchen
Buddha aber meint der epische Dramatiker? Frühe Spuren im Blick auf das
„Nirwana“ lassen sich seit 1903 entdecken und über die Lektüre des
Buddha-Buches von Fritz Mauthner (1913) und eigenwilliger Kulturenbegegnung mit
dem japanischen (aristokratischen) No-Theater weiterverfolgen. Die Veränderungen
der ursprünglichen Fassungen zeigt Kuschel an den Fassungen von Brechts
„Jasager“ und „Neinsager“. Es sind Lehrstücke verpasster Interkulturalität,
bedingt durch seine ideologischen Prämissen (S. 504).
5.
Mit
dem Gleichnis vom brennenden Haus
kommt Kuschel ins Zentrum seiner Brecht-Analyse – gewissermaßen der
entscheidende hermeneutische Schlüssel. Der Literaturwissenschaftler bringt es
auf den Punkt: „Nicht Buddha als Religionsstifter interessiert den
Stückeschreiber, nicht Buddhismus als >Religion<, sondern Buddha als
Lehrer einer lebenspraktischen und verhaltensorientierten Weisheit, als
glaubwürdige Verkörperung seiner Lehre“(S. 536).
6.
Eine
ähnliche Tendenz sieht Kuschel bei der Aufnahme taoistischen Gedankenguts durch
Bert Brecht Im Kontext intellektueller Rückgriffe auf den Taoismus nach dem 1.
Weltkrieg. Hier wird Jesus zur Laotse-Figur (S. 542), ehe eine Reihe von
Versuchen zum Tao te king erfolgen. Sie erhalten 1938 eine politische Wendung
im Gedicht „Fall Laotse“ (S. 555), die sich schon „Im Dickicht der Städte“
(1923) ausmachen lässt. Kuschel verweist in diesem Zusammenhang noch auf die
politischen Zuspitzungen im „Lied vom Fluß der Dinge“ und in der „Ballade vom Wasserrad“,
um schließlich auf den entscheidenden Punkt im Laotse-Gedicht zu kommen:
7.
„Das
Harte unterliegt“ schreibt er im Kontext der zunehmenden Unsicherheit im
dänischen Exil (S. 569ff). So wird Laotse für Brecht zum Ur-Emigranten und
einige der Keuner-Geschichten gegen die Gewalt machen das besonders deutlich –
bis hin zur Begegnung des Brechtschen Laotse mit dem Zöllner (S. 591–600). Über
das Element des Wassers im Tao Te King bietet sich für Brecht sogar die
Möglichkeit, Laotse mit Lenin geistig zu verbinden. So gehören für ihn
Nachgiebigkeit und Solidarität zur Herstellung eines entsprechenden
friedevollen Zustandes gleichermaßen zusammen.
8.
Brechts
Laotse-Gedicht hat für viele aus Nazi-Deutschland Vertriebene große Wirkung
gezeigt. Das gilt besonders für Walter Benjamin und seinen (persönlichen) Begegnungen
mit Brecht – besonders in Svendborg, dem dänischen Exil. Benjamins Laotse-Kommentar
(1939) wirkt wie eine Antwort darauf. Aber auch Hannah Arendt sieht im
Laotse-Gedicht extremen Trost (S. 626f). Walter Benjamin jedoch erreicht nicht mehr
die USA. Er setzt seinem Leben 1940 an der französisch-spanischen Grenze ein
Ende.
9.
Mit
Buddha und Laotse in den Kalendergschichten (1949) endet Kuschels umfangreiche
Reise durch die geistige Welt Brechts, Texte im Sinne einer „kritischen
Erledigung der Vergangenheit“ (S. 646).
Im Epilog hebt der Autor den entscheidenden
Vergleichspunkt von Hesse und Brecht heraus: „Das weiche Wasser bricht den Stein“. Beide Dichter flechten in ihre
Kunst zeitkritische Grunderfahrungen ein, die besonders mit den Nachwirkungen
des 1. Weltkriegs, mit der Etablierung des Kommunismus in Russland und des
Faschismus in Deutschland, Italien, Spanien und Japan zu tun haben. So sagt
Hesse religionskritisch dem (missionarischen) Herrschaftsanspruch des „weißen
Mannes“ und jeglichem religiösen
Absolutheitsanspruch ab. (S. 649f). Es ist zugleich die Überwindung „eines
dualistisch-konfrontativen Denkens“ (S. 653). Brecht jedoch sieht sich als
zeitkritischer Lyriker und Theaterreformer, der den “Gebrauchswert dieser
uralten Traditionen [Asiens] für seine eigene „Bühne“ nutzt. Religion im Sinne
von Verführung zur Irrationalität lehnt er ab und glaubt doch an die
Verantwortung des Menschen und eine Weltveränderung im Sinne des dialektischen
Materialismus (S. 657). Trotz des selektiven Umgang beider Dichter mit den
großen Traditionen Asiens gelangen beide „Morgenlandfahrer“ in das Zentrum des
Tao te king: Der Fluss des Geschehens im Symbol des Wassers, das den harten
Stein bricht, hindert vor doktrinärer Vereinseitigung – stärker religiös
relativierend bei Hesse, eindeutig politisch kritisch bei Brecht.
Bilanz
Dieses opulente Werk
kann mit diesen eher kurzatmigen Einblicken nicht ausgeschöpft werden, lädt
aber dazu ein, genauer auf die „Orientierungen“
der beiden Dichter zu schauen. Dazu gehören sowohl Bewegtsein von der Weisheit
Asiens als auch ein kritisches Bedenken und zugleich bewusstes Einbeziehen der
Wirkungsgeschichte des chinesischen und japanischen Theaters, des Buddha, der
chinesischen Dichter, des Laotse und des Zen-Buddhismus in den eigenen Denk-
und Lebenshorizont. Hesse und Brecht als unterschiedliche und doch gemeinsame
Begleiter erinnern zugleich, wie die Kunst des Dichtens in dem nach Osten hin
offenen Horizont gegenwärtiges Leben des Westens bereichert und Goethes Wort
wieder wahr macht: „Orient und Okzident sind nicht mehr zu trennen“.
Zusammenfassung
Beim Lesen dieses extrem umfassenden und noch dazu spannenden Werks wirkt es umso erstaunlicher, wie die geistigen Welten Indiens, Chinas und Japans für Hermann Hesse und Bertolt Brecht gleichermaßen die Lebensorientierung der beiden Dichter prägen. Hinduistische, buddhistische, taoistische und schließlich noch Zen-buddhistische Traditionen nehmen beide – unterschiedlich selektiv – in sich auf. Aus pietistischer Umklammerung nähert sich Hesse – durchaus politisch sensibel – der Weisheit Asiens zwischen der Bhagavad Gita, dem (indischen) Buddha, Laotse und Zen. Im Endergebnis lehnt er alle religiösen Absolutheitsansprüche konsequent ab. Dagegen steht der marxistisch argumentierende und künstlerisch-politisch agierende Bert Brecht. Er ist von der Lebens-Sinnhaftigkeit des (indischen) Buddha, des Zen, chinesischer Dichter und dem von Laotse zugeschriebenen Tao te king (Daodejing) herausgefordert. Schließlich schenkt er in eigenständiger Auslegung der Weisen Asiens der machtlosen Macht sein – wohlgemerkt – kritisches Vertrauen. So entsteht episches Theater. So dichtet der ins Exil getriebene und in den Sozialismus der DDR zurückkehrende Marxist – mahnend und oft in feiner (ironischer) Differenzierung. Sein „Lernziel“: Lesende und Zuschauende müssen sich hüten, den dogmatisch-politischen Antworten zu trauen. Es ist wichtig, dass sie gesellschaftlich wach werden.
Beim Lesen dieses extrem umfassenden und noch dazu spannenden Werks wirkt es umso erstaunlicher, wie die geistigen Welten Indiens, Chinas und Japans für Hermann Hesse und Bertolt Brecht gleichermaßen die Lebensorientierung der beiden Dichter prägen. Hinduistische, buddhistische, taoistische und schließlich noch Zen-buddhistische Traditionen nehmen beide – unterschiedlich selektiv – in sich auf. Aus pietistischer Umklammerung nähert sich Hesse – durchaus politisch sensibel – der Weisheit Asiens zwischen der Bhagavad Gita, dem (indischen) Buddha, Laotse und Zen. Im Endergebnis lehnt er alle religiösen Absolutheitsansprüche konsequent ab. Dagegen steht der marxistisch argumentierende und künstlerisch-politisch agierende Bert Brecht. Er ist von der Lebens-Sinnhaftigkeit des (indischen) Buddha, des Zen, chinesischer Dichter und dem von Laotse zugeschriebenen Tao te king (Daodejing) herausgefordert. Schließlich schenkt er in eigenständiger Auslegung der Weisen Asiens der machtlosen Macht sein – wohlgemerkt – kritisches Vertrauen. So entsteht episches Theater. So dichtet der ins Exil getriebene und in den Sozialismus der DDR zurückkehrende Marxist – mahnend und oft in feiner (ironischer) Differenzierung. Sein „Lernziel“: Lesende und Zuschauende müssen sich hüten, den dogmatisch-politischen Antworten zu trauen. Es ist wichtig, dass sie gesellschaftlich wach werden.
Beide Dichter tauchen
in den fremden Osten ein – nicht in emotionalem Überschwall, sondern in eher
nachdenkend gedämpfter Faszination! In diesem Nachsinnen wird die Begegnung zum
verwandelten Eigenen. So gelingt dem dialogisch orientierten Theologen und
Kulturwissenschaftler Kuschel gerade in der Gegenüberstellung von Hesse und
Brecht eine Kulturenbegegnung beeindruckender Art. Die unterschiedlichen Morgenlandfahrten der beiden Dichter haben
die Zusammengehörigkeit von Orient und Okzident in der ersten Hälfte des 20.
Jahrhunderts intensiv geprägt. Diese Begegnungen sind zugleich ein wichtiges Kapitel
für interkulturelles Lernen heute, das nicht ohne Infragestellung der eigenen
Positionen auskommt.
English Summary
When reading this very comprehensive and yet exciting work, it is all
the more amazing how the spiritual worlds of India, China and Japan share in a
similar way the orientation of both Hermann Hesse and Bertolt Brecht (for
Hermann Hesse and Bertolt Brecht shape similarly the life orientation of both
poets).Both poets incorporate Hindu,
Buddhist, Taoist, and Zen Buddhist traditions – with varying degrees
of selectivity. From a pietistic embrace, Hesse approaches – quite politically
sensitive – the wisdom of Asia between the Bhagavad Gita, the (Indian) Buddha,
Lao Tzu and Zen. In the end, he rejects consistently all religious absolute
claims. On the other hand, there is the Marxist-arguing and
artistical-political Bert Brecht. He is challenged by the meaning of life of
the (Indian) Buddha, Zen, Chinese poets, and the Tao te king (Daodejing)
ascribed to Lao Tzu. Finally, in an independent interpretation of the Asian
sages gives his critical trust – nota bene – to the power of powerlessness.
This is how epic theater comes into existence. In that manner the Marxist,
driven into exile and returning to the socialism of the GDR, writes
admonishingly and often in fine (often ironic) differentiation. His
"learning target": readers and spectators must beware, that they do
not trust the dogmatic-political answers. It is important that they become
socially aware
Both
poets submerge into the foreign East – not in emotional overflow, but in a more
reflective muted fascination! In this contemplation, the encounter becomes a transformed
one. Thus, the dialogue-oriented theologian and cultural scientist Kuschel succeeds
in an impressive cultural encounter by the comparison between Hesse and Brecht.
The different Morgenlandfahrten (oriental
trips) of the two poets have shaped intensely the correlation of Orient and Occident in the first half of
the 20th century. These encounters are a very important chapter for
intercultural learning today. This cannot be done without questioning one`s own
personal positions.
English translation: Prof. Dr. mult. Manfred
Kwiran, Wülperode
Vorbereitende Forschungsergebnissevon Karl Josef Kuschel für „Im Fluss der
Dinge“:
· Gottes grausamer Spaß? Heinrich
Heines Leben mit der Katastrophe. Düsseldorf: Patmos 2002
· Jesus im Spiegel der Weltliteratur.
Die Bilanz eines Jahrhunderts. Originaltexte und Einführungen [1999]
Düsseldorf: Patmos 2010
Düsseldorf: Patmos 2010
· Rilke und der Buddha. Die Geschichte eines einzigartigen Dialogs.
Gütersloher Verlagshaus 2010
· Im Ringen um den wahren Ring. Lessings „Nathan der Weise“ – eine
Herausforderung an die Religionen.
Ostfildern: Patmos 2011
Ostfildern: Patmos 2011
· Das Weihnachten der Dichter.
Originaltexte von Thomas Mann bis Reiner Kunze neu erschlossen.
Ostfildern: Patmos 2011 --- Rezension: hier
Ostfildern: Patmos 2011 --- Rezension: hier
· (mit Heinz-Dieter Assmann):
Börsen, Banken, Spekulanten: Spiegelungen in der Literatur – Konsequenzen für
Ethos, Wirtschaft und Recht. Gütersloher Verlagshaus 2011
· Martin Buber – seine Herausforderung an das Christentum.
Gütersloher Verlagshaus 2015
Rezension: hier
Rezension: hier
Wolfgang Schütz: Was lehrt Hermann Hesses "Siddharta" heute?
(Ausgburger Allgemeine, 23.12.2022)
Welche
Chancen Literaturbegegnung für das interreligiöse Lernen bieten, haben in
besonderer Weise Christoph Gellner und Georg Langenhorst deutlich gemacht:
Blickwinkel öffnen. Interreligiöses Lernen mit literarischen Texten. Ostfildern: Patmos 2013
Rezension: https://buchvorstellungen.blogspot.com/2013/06/mit-modernen-literarischen-texten.html
Blickwinkel öffnen. Interreligiöses Lernen mit literarischen Texten. Ostfildern: Patmos 2013
Rezension: https://buchvorstellungen.blogspot.com/2013/06/mit-modernen-literarischen-texten.html
Reinhard Kirste
Rz-Kuschel-Hesse-Brecht, 01.08.2018, bearb. 25.12.2022
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