Sonntag, 10. November 2024

Gilles Kepel: Krisen und Kriege rund um das Mittelmeer und im Nahen Osten - Erschütterung der Weltordnung (aktualisiert)

Präsentationen/ Rezensionen
mehrerer Titel

1. Le Bouleversement
du Monde

Die Welt im Umbruch

Paris:  Plon 2024, 176 pp.

EAN 13: 9782259320887

ISBN 978-2-259-32088-7

Bilan et perspectives
du 7 Octobre.


Die Sogwirkung des pogromartigen Raubzugs Razzia) der Hamas am 7. Oktober 2023 und des anschließenden Massenmords an den Palästinensern in Gaza hat die nach dem Zweiten Weltkrieg eingeführte Weltordnung erschüttert. Nach einer eingehenden Analyse der politisch-religiösen Logik, die diese mörderischen Leidenschaften entfesselt, bietet der Autor  von Holocaustes hier eine perspektivische Darstellung des daraus resultierenden Umbruchs.
Zunächst zeigt sich eine geopolitische Erschütterung durch die Entstehung eines selbsternannten „Globalen Südens“, der die Hegemonie des „Nordens“ widerruft. Zweitens kommt es zu einem moralisches Erdbeben, als der Begriff „Völkermord“, der historisch mit der Gründung des Staates Israel verbunden ist, bis in die höchsten Etagen der UNO unterwandert wird. Und schließlich folgt eine gesellschaftliche Spaltung in den Demokratien des „Nordens“, die von einer neuartigen Polarisierung der Identität zwischen linksextremem, übersensiblem  Bewusstsein (Wokismus) und rechtsextremem Populismus geplagt werden.
Von der Blockade der Universitäten bis hin zum Einzug der palästinensischen und israelischen Anliegen in die wichtigsten Wahlen in Europa und Amerika zeigt Gilles Kepel die Verwerfungslinien auf, die der 7. Oktober in unserer Gegenwart und Zukunft vertieft hat.
Vor uns liegt eine begründete Geschichtsdarsellung der Gegenwart, genährt von der Tiefenschärfe eines anerkannten Experten des politischen Islamismus und seiner weltweiten Auswirkungen.



2. HOLOCAUSTES
Paris: Plon 202, 216 pp.
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 2259319629 --- ISBN-13 ‏ : ‎ 978-2259319621
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Rezension: Prof. Dr. Peter Antes (Yggdrasill, 7.11.2024)

Der bekannte französische Islamwissenschaftler und Bestsellerautor Kepel hat mit diesem Buch eine Art Verlaufsprotokoll der Ereignisse seit dem Hamas Massaker auf Israel vom 7. Oktober 2023 bis zum Februar 2024 vorgelegt, das ohne Parallele auf dem deutschen Buchmarkt ist.
Er startet im Prolog (S. 9f) mit Begriffsdefinitionen: Holocaust, ursprünglich ein religiöses Opfer, bei dem das Opfer völlig verbrannt wird, steht heute häufig generell für „Vernichtung“, weshalb es auch im Plural vorkommt wie im Titel seines Buches zur Kennzeichnung von Vernichtungen sowohl israelischer Juden als auch muslimischer Palästinenser; Shoah ist hebräisch und unterstreicht als Terminus für „Vernichtung“ im Unterschied zu dem erwähnten modernen Verständnis von Holocaust die Einmaligkeit der Vernichtung der Juden durch die Nazis; Genozid bezeichnet dagegen von vornherein universal jede Art von Völkermord.
Der Hauptteil des Buches besteht aus vier Kapiteln, die jeweils die Ereignisse aus verschiedenen Perspektiven betrachten:
Das erste Kapitel behandelt die Ereignisse aus Sicht der Muslime. Das als „Aksa Flut“ bezeichnete Massaker der Hamas wird dabei verbunden mit der Vernichtung der Ungläubigen durch Gottes Sintflut zur Zeit Noahs und eingereiht in die Geschichte der Vertreibung der Palästinenser (Nakba) bei der Errichtung des Staates Israel 1948 sowie die Kriege zwischen den Arabern und Israel und nicht zuletzt die verzweifelten Proteste der Intifada gegen die Besatzungsmacht Israel bis hin zu terroristischen Angriffen im Namen des Islam gegen Ziele und Menschen im Westen (in Europa und den USA, einschließlich des 11. September 2001). In einer berühmten Rede weitet der inzwischen durch die Israelis getötete schiitische Generalsekretär der libanesischen Hizbollah Scheich Hassan Nasrallah am 3. November 2023 den Konflikt räumlich aus, indem er alle Araber zur Mitwirkung aufruft „vom Golf bis zum Ozean“ und auch die Muslime in Europa in diese von Gott gesegnete, den Sieg ankündigende Razzia einbeziehen will. Bekanntlich gelingt dadurch der Schulterschluss mit den Huthis im Yemen und der religiösen Führung in Teheran.
Das zweite Kapitel beschreibt die Reaktionen in Israel auf das Massaker vom 7. Oktober. Wie die Djihadisten im Islam bestimmte Passagen der heiligen Texte wortwörtlich nehmen und daraus ihre konkrete Politik ableiten, verfahren die Zeloten des gegenwärtigen Judentums und diktieren Netanyahu, wie er gegen Hamas und die Bevölkerung im Gazastreifen vorgehen soll.  (vgl. S. 91f) Ihre Aktionen führen zu einer irreparablen Verwüstung des Landes und zu einer beispiellosen Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung, die sich äußerst kontraproduktiv für die Unterstützung auswirken, die Israel gerade braucht.
Das dritte Kapitel hat als Überschrift: Geopolitik eines Massakers. Es zeigt zwischen S. 108 und 109 wertvolle farbige Karten aus dem Krisengebiet wie der Region und beschreibt die Auswirkungen ds Hamas Massakers und der Reaktonen Israels auf die Politik der Türkei, Qatars sowie Moskaus und Pekings und damit die geopolitischen Veränderungen von der „Dritten Welt“ zum „Globalen Süden“.
Das vierte Kapitel ist dem „Aufschrei gegen den Westen“ (Haro contre l’Occident) gewidmet. Typisch für diese Anklage ist der Antrag Südafrikas auf Verurteilung Israels wegen Völkermordes beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag, der dort am 11. und 12. Januar 2024 verhandelt wurde. Dabei ging es vor allem um Aussagen der Minister Itamar Ben-Gvir, Bezalel Smotrich oder Yoav Gallant, die die Existenz eines palästinensischen Volkes geleugnet und damit die Zwangsvertreibung der Einwohner wie „menschliche Tiere“ von Gaza gerechtfertigt haben. Am 26. Januar 2024 verkündete der Internationale Gerichtshof – wie im Epilog beschrieben – sein Urteil: Die Geschehnisse lassen völkermordähnliche Züge erkennen, weshalb Israel alles tun soll, um einen Völkermord zu verhindern. Dieses Urteil wurde von den Vertretern der BRICS-Staaten (BRICS ist ein Akronym aus den Anfangsbuchstaben für Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika, wozu seit 2024 noch Iran, Ägypten, Äthiopien und die Vereinigten Arabischen Emirate gehören) sowie der EU begrüßt, nur Israel und die USA haben es kritisiert. Wenn es den USA und dem Westen nicht gelingt, einen palästinensischen Staat zu schaffen, wird der „globale Süden“, allen voran die BRICS-Staaten unter der antiliberalen und antiwestlichen Führung Moskaus und Pekings,  davon profitieren.
Der Epilog beschreibt die verschiedenen Versuche zur Beilegung des israelisch-palästinensischen Krieges und deren Scheitern. Dabei hat Europa sein tatsächlich vorhandenes Potenzial nicht ausreichend genutzt, denn Europa stellt ein außergewöhnliches Laboratorium für Verschmelzung (fusion), über alle ethnischen und religiösen Zugehörigkeiten hinaus, dar. „Sein Dilemma besteht im kulturellen Kampf zwischen denen, die sich auf die demokratischen Werte des alten Kontinents berufen möchten, und denen, die separatistische Enklaven zum Sturz des Rechtsstaates bilden wollen.“ (S. 191) Hier wäre ein deutlich hörbareres Bekenntnis zu den westlichen demokratischen Werten nach Kepel seit langem wünschenswert.
„Die Glaubwürdigkeit des westlichen demokratischen Modells, das auf dem Rechtsstaat beruht, ist in einem Moment, in dem dieser von antiliberalen Regimen des ‚Globalen Südens‘ verunglimpft wird, nicht von geringer Nachwirkung als Folge vom 7. Oktober. Als Auftakt zu Harmagedon, nach dem die Kriegsparteien im Heiligen Land streben.“ (S. 199)  

Gilles Kepel : "
Le Hamas a atteint une victoire encore plus grande que le 11 Septembre" (L'Express, 19.03.2024)



    3. Sortir du chaos
    Les crises en Méditerranée 
    et au Moyen-Orient

    Paris: Gallimard 

    2018, 536 pp., illustr.

    Aus dem Chaos herauskommen.
    Die Krisen im Mittelmeerraum
    und im Mittleren Osten
Cartes inédites de Fabrice Balanche --- 
Collection: Esprits du monde -->>> Leseprobe: hier 
Gilles Kepel 2013 (Wikipedia.fr)

Verlags-
information mit deutscher Übertragung
L’horreur du «califat » de Daesh au Levant entre 2014 et 2017 et son terrorisme planétaire ont été une conséquence paradoxale des «printemps arabes» de 2011. Pourtant ceux-ci avaient été célébrés dans l’enthousiasme des slogans démocratiques universels et de la «révolution 2.0». 

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