Samstag, 20. Januar 2024

M.S. Murtaza: Islam und Antisemitismus (aktualisiert)

Muhammad Sameer Murtaza:
Schalom und Salam - Wider den islamisch verbrämten Antisemitismus


Frankfurt/M.: info3-Verlag 2018, 160 S.

ISBN 978-3-95779-085-9

Der Politik- und Islamwissenschaftler  Muhammad Sameer Murtaza gibt eine sehr kompakte Darstellung zur Historie des Verhältnisses zwischen Juden und Muslimen. Die Darstellung beginnt (natürlich) bei den Auseinandersetzungen zwischen Mohammed und seinen Anhängern einerseits und jüdischen Stämmen/Sippen andererseits in Yathrib, dem späteren Medina. Das Ergebnis dieser Auseinandersetzungen, nämlich die Vertreibung der drei wichtigsten jüdischen Stämme unter Tötung vieler erwachsener Männer, wird sehr unterschiedlich interpretiert: Manche sehen hier einen Beleg für eine grundlegende Grausamkeit von Mohammed und den Muslimen, andere erklären den Vorgang mit einem (drohenden?) Vertragsbruch dieser jüdischen Stämme während einer für Mohammed und seine Anhänger bedrohlichen kriegerischen Auseinandersetzung mit den Mekkanern.
Das Problem: Es gibt praktisch keine zeitgenössischen verlässlichen Berichte. Alle bekannten Darstellungen sind ein Jahrhundert oder mehrere Jahrhunderte später entstanden, dann schon deutlich überlagert von politischen Interessen der Autoren. Die heute eigentlich gesicherte historische Unklarheit hindert die Scharfmacher der Gegenwart – jüdische, christliche und muslimische – aber nicht daran, die grausame Variante der Erzählung für ihre jeweiligen Zielsetzungen zu nutzen.
Historisch belegt ist jedoch, dass andere (kleinere) jüdische Stämme weiterhin in Medina gelebt haben und dass Juden in der islamischen Welt  bis ins letzte Jahrhundert hinein in aller Regel deutlich besser behandelt wurden als in der christlichen Welt. Die Annahme einer besonderen muslimischen Feindschaft gegenüber Juden (oder auch umgekehrt) seit Mohammed ist deshalb sicher falsch. Der Koran mit seinen vielen Anknüpfungen an das Alte Testament und der Anerkennung der jüdischen Propheten gibt auch keine geeignete Grundlage für eine allgemeine Judenfeindlichkeit im Islam. Wenn, sind die Vorgänge in Medina somit eher auf einen Machtkonflikt zurückzuführen.

Die eigentlichen Ursachen für die heute oft leider zu beobachtende Feindschaft zwischen Israelis und Arabern sieht Murtaza im letzten Jahrhundert, wesentlich zu verantworten auch von den westlichen Ländern (besonders Briten und Franzosen), die Palästina in getrennten Gesprächen Israelis und Arabern für die Zeit nach dem 1. Weltkrieg versprochen haben. Murtaza sieht da einen tragischen Konflikt: Einerseits kann er verstehen, dass die Israelis nach Jahrhunderten mit Pogromen in Europa bis hin zur Shoa ein eigenes gesichertes Land haben wollen. Andererseits hat er auch Verständnis für die Araber (übrigens Muslime und Christen), die nach rund 2000 Jahren Siedlung in Palästina nicht recht einsehen, warum sie nun die Zeche für die Fehler der europäischen Christen zahlen sollen. Murtaza bringt einige Gedanken, wie beide Seiten aus diesem tragischen Konflikt herauskommen könnten. Den Widerstand dagegen sieht er vor allem bei den zionistischen und arabischen Fundamentalisten, also auf beiden Seiten.

Das Buch liefert Hilfen, um diesen Scharfmachern und damit der Ausbreitung von Antisemitismus und Islamophobie entgegenzutreten. 
Ich kann das Buch sehr empfehlen, zumal es eine kompakte zusammenfassende Darstellung ist und eine klare Linie erkennen lässt.

Der Autor: Dr. Muhammad Sameer Murtazageboren 1981 in Oberwesel am Rhein, studierte Islamwissenschaft mit Schwerpunkt Islamische Philosophie und Politikwissenschaft an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Seit 2010 ist er als erster Muslim externer Mitarbeiter der renommierten Stiftung Weltethos von Prof. Dr. Hans Küng. Dort forscht er zum jüdisch-muslimischen Dialog, über Gewaltlosigkeit aus den Quellen des Islam sowie über Gegenwartsströmungen im Islam, insbesondere zur Salafiyya. Seit dem Wintersemester 2016/2017 wirkt er auch als Lehrbeauftragter am Institut für Islamische Theologie der Universität Osnabrück.

Ulrich Waas, Erlangen

Vgl. ergänzend:
Nefvel Cumart / Ulrich Waas:  Orient und Okzident   die andere Geschichte. 
Das Fremde als kulturelle Bereicherung

Buchreihe der Georges-Anawati-Stiftung, Bd. 14. 
Freiburg/Br. u.a.: Herder 2017, 240 S.

Alfred Schlicht: Judenhas  im Islam
„O ihr Juden – die Armee Muhammads wird zurückkommen“
Dier WELT, 17.01.2024

Michael Blume: Warum der Antisemitismus uns alle bedroht.
Wie neue Medien alte Verschwörungsmythen befeuern.

Ostfildern: Patmos 2019, 208 S., Glossar

Rezension: >>> hier



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