- ISBN : 9782204160292
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>>> Stéphane Briand:
Ce que l'idée juive de Dieu doit à la philosophie
(- Nonfiction, 29.09.2024)
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Esther Starobinski-Safran:
Essais de philosophie juive.
Paris: Albin Michel 2014, 256 S.
--- ISBN 978-2-226-25387-3 ---
Essais de philosophie juive.
Paris: Albin Michel 2014, 256 S.
--- ISBN 978-2-226-25387-3 ---
Interreligiöse Bibliothek (IRB):
Zugleich Buch des Monats März 2014
Zugleich Buch des Monats März 2014
Ausführliche Besprechung
Die jüdische Philosophie
spielt seit der Antike eine wesentliche Vermittlungsrolle im Mittelmeerraum.
Sie hat auch wichtige Impulse für die Geisteskultur Europas und Deutschlands
gesetzt. Esther Strarobinski-Safran, Tochter des
Hauptrabbiners Alexandre Safran von Genf (1910-1948) ist
Honorarprofessorin an der Universität Genf und steckt mit den vorliegenden Essays
entwicklungsgeschichtlich entscheidende Markierungspunkte der jüdischen
Philosophie in 20 Jahrhunderten ab. Diese haben auch die politische Geschichte
zum Teil nachhaltig beeinflusst.
Das Erstaunliche eines solchen Ganges am „Geländer“ großer
jüdisch-philosophische Protagonisten sind die die Konvergenzen der hier
vertretenen DenkerInnen – und dies trotz großer Zeitunterschiede. Diese Bezieihungsnähe
bewegt sich im Spannungsfeld von Vernunft und Offenbarung unter den philosophisch-theologischen
Voraussetzungen des Monotheismus und in Bezug auf Einheit und Einzig(artig)keit
Gottes.
Bei Philo von Alexandrien
(um 15 v.
Chr. bis ca. um 40 n. Chr.) wirkt sich die Vermittlungstendenz zwischen
jüdischer Philosophie bzw. Theologie und Hellenismus auch in dessen Beurteilung
von Krieg und Frieden aus. Die Autorin hebt darum die enge
Verbindung von Gerechtigkeit und menschlicher Gleichheit in dessen Friedensverständnis
hervor. Das sind die Kennzeichen legitimer (monarchischer) Herrschaft, wie sie
etwa der römische Kaiser Augustus ausübte. Der Krieg wird dagegen von
Usurpatoren in Szene gesetzt. Philos biblische Textauslegungen (besonders zum
Priesterkönig Melchisedek) haben als hermeneutischen Schlüssel das Verständnis einer großen menschlichen Familie, die
sich auf den (göttlichen) Logos als Archetyp des Menschen gründet und darum dem
menschlichen Geschlecht innewohnt. Daraus folgt letztlich, dass alle Tugenden
auf der Liebe zum Nächsten aufbauen und damit auf Gott ausgerichtet sind. Damit
hat der Philosoph einen Impuls gesetzt, der über die gesamte europäische
Philosophie hinaus bleibende Bedeutung gewonnen hat.
Das Buch Keter Malkhut (= die Krone des Königtums)
ist ein bedeutendes liturgisches Werk des neuplatonisch geprägten
Dichter-Philosophen Solomon Ibn Gabirol (1021/22–1057) aus dem muslimischen
Spanien. Von den 50 Gesängen untersucht die Autorin die ersten neun zum
Gottesverständnis. Dort ist für den Glaubenden die Realität der Einheit Gottes,
des Kosmos und die eigene menschliche Wirklichkeit keine Frage. Die Schwierigkeit
besteht allerdings darin, das zu kommunizieren, was Objekt der Erfahrung ist
(S. 33). Insgesamt präsentiert Ibn Gabirol eine Vision der Welt die
gleichzeitig hierarchisch und solidarisch im Gotteslob zum Ausdruck kommt. Die
innere Verbindung stellt das Einswerden von allem in seinem Namen dar (S. 55).
Moses Maimonides (geb. 1135/1138 in Córdoba, gest. 1204 in Kairo) gehört zu den
berühmtesten jüdischen Philosophen aller Zeiten. Er hat die
lateinisch-christliche Theologie und Philosophie des Mittelalters wesentlich
beeinflusst. Esther Starobinski-Safran widmet sich hier seinem Kampf gegen die
Götzenanbetung, wie sie von Anfang an in den biblischen und rabbinischen
Traditionen zu Hause ist. In der aristotelisch und neuplatonisch entwickelten
Konzeption des Maimonides geht es darum, einen Weg zur wahren Gotteserkenntnis
zu erläutern und dies mit einem pluralistischen Tora-Hermeneutik abzusichern. Das
zeigt er im Buch der Erkenntnis,
während er im Führer der Ver(w)irrten
die radikale Trennung von Gott und jeglicher Kreatur unterstreicht (S. 59).
Seine Argumentationslinie mündet in eine Konzeption des von allem Kreatürlichen
gereinigten Kult. Gemeint sind damit Polytheismus, Wahrsagerei, Astrologie,
Zauberei, Exorzismus, Befragung von Toten, von Geistern und von Orakeln. Ein
solch wahrer Kult basiert auf der göttlichen Vorsehung. Der Gewinn solcher
Erkenntnis wird allerdings nur einer intellektuellen Elite zuteil und wendet
sich gegen libertäre Haltungen, wie sie auch in der Gegenwart zu finden sind.
Mit dem Fall Spinoza
macht die Autorin einen Sprung vom Mittelalter ins 17. Jahrhundert und klinkt
sich damit in die Philosophiedebatte der Neuzeit ein. Man darf nicht vergessen,
dass Benedikt (Baruch) Spinoza (1632–1677) aus der Gemeinschaft der
portugiesischen Synagoge Amsterdam ausgeschlossen wurde, dennoch bleibt sein
„Milieu“ jüdisch, was sich daran zeigt, dass Spinoza mit dem dualistischen
Denken von Descartes bricht. Sein innigster Wunsch ist, zur Quelle ewiger
Wahrheit zurückzukehren, die er in Israels Propheten, aber nicht in einem
„pharisäischen Judentum“ zu finden glaubt (S. 87). So transformiert er naturalistische
Denkweisen non-dualistisch in eine „religiöse“ Beziehung zur Welt. Das
Göttliche findet sich in jedem menschlichen Wesen, und das göttliche Wesen
selbst ist die hohe Quelle der Vollkommenheit (S. 89). Das ist natürlich keine
Bibeltheologie, sondern eine Annäherung an die jüdisch-arabische
Aristoteles-Interpretation, besonders von Maimonides, und zwar im Blick auf
eine ideale Gemeinschaft der Menschen. Er dekonstruiert so die jüdisch-traditionelle
biblische Hermeneutik, weil er das Denken des Menschen an den vergänglichen
Körper gebunden sieht, während der Intellekt unabhängig, unsterblich ist. Die
Ethik wird dabei Kennzeichen eines göttlichen Seins in uns, des amor Dei intellectualis (S. 89). Dieses
verwirklicht sich in einem säkularen demokratischen Staat.
Mit Hermann Cohen (1842–1918) tritt die Einheit und Einzigkeit Gottes
im Sinne eines inklusivistisch sich verstehenden Judentums verstärkt auf den
Plan. Über Kant hinausgehend, betont er, dass das Denken das Objekt erschafft. Auch
eine Nähe zu Maimonides wird sichtbar. Insgesamt wichtig ist Cohen, dass sich
eine aus der Einheit Gottes entwickelte (idealistische) Ethik vom Determinismus
einer materialistischen Weltvision befreit. Die Freiheit des Menschen mündet in
eine Ethik des reinen Willens. Gott wird in diesem Konzept zu einem Ideal, das
sich im Menschen ansatzweise realisiert. Philosophisch bedeutet dies, dass Gott
der wahre Inhalt des Denkens ist. Die Religion
der Vernunft entwickelt sich so aus den Quellen
des Judentums. Die Einheit dieser Verbindung erkennt Mose (und mit ihm
Cohen!) im brennenden Dornbusch. Die ethische Bestätigung erfolgt durch die
Offenbarung am Sinai mit den 10 Geboten. Diese Einzigkeit Gottes hat als
konzeptuelle Konsequenz die Natur, das heißt: die Schöpfung spiegelt die
Vorhersehung des einen Gottes. Die Offenbarung Gottes kommt direkt aus seiner
Einzigkeit und seiner Schöpfung. Er geht jedoch nicht pantheistisch in ihr auf.
Gott als Prinzip der Welt ist zugleich universales Prinzip des menschlichen
Geistes, keineswegs nur theoretisch, sondern vielmehr moralisch praktisch.
Mit Hannah Ahrendt (1906–1975)
kommt ein anderer Gesichtspunkt jüdischer Geschichte ins Blickfeld, der des
Antisemitismus im Kontext eines gesellschaftlich assimilierten Judentums. Sie
konkretisiert dies an der Dreyfus-Affäre. 1894 verurteilte ein französisches
Kriegsgericht den jüdischen Artillerie-Hauptmanns Alfred Dreyfus. Man bezichtigte ihn des Landesverrats zugunsten des Deutschen Kaiserreiches.
Es dauerte Jahre, bis dieses krasse Fehlurteil 1906 aufgehoben und Dreyfus
völlig rehabilitiert wurde. Die Autorin stellt unter Heranziehung der
entsprechenden Literatur dar, wie Hannah Ahrendt politische Verwicklungen in
Frankreich Ende des 19. Jahrhunderts beurteilt und ihre antijüdische Instrumentalisierung
hervorhebt. Es ging schließlich bei Staat und Nation um die Auseinandersetzung
aristokratischer Kreise und des Katholizismus gegen den Sozialismus, der sich
auf die Französische Revolution berief. Hier gerät das (etablierte) Judentum
zwischen die Fronten. Anders als der Antijudaismus seit Antike und Mittelalter oder
die Stellung der „Hofjuden“ in den späteren Monarchien konstatiert Hannah
Ahrendt Ende des 19. Jahrhunderts als neue Variante den politischen
Antisemitismus. Als Ideologie nimmt dieser national unterschiedliche
totalitaristische Züge an (wie im Kommunismus oder Nationalsozialismus), der
den Judenhass seitdem immer wieder anstachelte.
In den folgenden Abschnitten wendet sich die
Autorin modernen jüdischen Philosophen
in der Konfrontation mit der Pluralität
der Religionen zu, ehe sie am Schluss des Buches wieder zu Maimonides
zurücklenkt. Sie greift auf Moses
Mendelssohn (1729-1786) mit seiner Philosophie der Aufklärung zurück,
spricht von dieser noch einmal Hermann Cohen im Zusammenhang von religiösem
Fortschritt und Humanität an. Mit Franz Rosenzweig (1886–1929) tritt einer der eindeutigen interreligiösen
Dialogiker auf den Plan – auch im engagierten Diskurs mit Eugen Rosenstock-Huessy (1888–1973). So ist keine Apologie des
Judentums mehr nötig, sondern die Aufarbeitung der Etappen von der Schöpfung
über die Offenbarung zur Erlösung. Das Judentum steht dabei unter dem
Vorzeichen des ewigen Lebens, das Christentum unter dem des ewigen Weges (S.
138). Schließlich kommt noch Martin Buber (1878–1965) ins Gespräch, der betont, dass keine Religion einen
Monopolanspruch für sich reklamieren könne. Auch die göttliche Erwählung ist
kein jüdisches Privileg! Es geht vielmehr um zwei Typen des Glaubens, den
jüdischen und den paulinischen. Hinzu kommt der Weisheitstyp asiatischer
Glaubensformen bei Buddha, Konfuzius und Laotse. Emmanuel Levinas (1906–1995) schließlich zeigt an der Geschichte
des Christentums, dass das Kreuz keine Barmherzigkeit und Liebe gebracht hat,
aber dennoch im Christentum diese zu finden sind. Der machtlose Christus und
das kampflose Leiden der Juden bis hin zu Auschwitz weisen dennoch eine gewisse
Nähe zueinander auf. Allerdings hat die verteidigungslose Menschlichkeit Jesu dennoch
der Gewalt, den Verfolgungen (im Namen des Kreuzes!) faktisch die Tür geöffnet.
Alle in diesem Essay Genannten sahen und setzten dennoch angesichts der
Zerrissenheit der Welt die Toleranz-Zeichen der Einheit, um so gesellschaftliche
und religiöse Trennungen zu überwinden.
Dann zeigt die Autorin, wie stark sich Franz Rosenzweig (1886–1929) von dem berühmten sephardischen Poeten
Juda Halevi (1075-1141) aus
Andalusien inspirieren ließ. Esther Starobinski-Safran betont, dass Halevi in
seinen biblisch durchleuchteten Gedichten die Heimkehr- bzw. den Umkehrwunsch
zu Gott als dem Herrn aller Herren faszinierend zum Ausdruck bringt. Rosenzweig
stimmt darin zu. Diese Umkehr lässt sich dank der Liebesverbindung Gottes mit
der Seele realisieren. Jerusalem taucht als Zielort dieser inneren durch Stürme
bewegten Reise auf.
Mit dem Beitrag über das Verständnis von Raum und Zeit lässt die Autorin
(zusammen mit Shira Starobinski) nicht nur ihren Vater Alexandre Safran (1910–2006) zu Worte kommen, sondern setzt zu
einem Vergleich mit Abraham JoshuaHeschel (1907–1972) an. Beide Denker, die sich auch persönlich begegneten,
sehen im Raum die fortschreitende Aktivität des Menschen und im Sabbat das
Geheiligtsein der Zeit. Die „heilige“ Zeit der Ruhe bekommt bei Safran messianische
Züge, bei Heschel treten immer wieder die Gefährdungen und Ängste auf dem Weg
in die Ewigkeit ins Blickfeld.
Von daher ist es auch sachlich sinnvoll, jüdische Utopien genauer zu bedenken: Jeder
Träumer schafft zugleich eine Utopie. Das gilt für den Soziologen Karl
Mannheim: „Ideologie und Utopie“
(1929), für Ernst Bloch: „Prinzip
Hoffnung“ (1959) mit Annäherungen an die Universal-Konzeption der Kabbala und
Martin Buber (z.B. „Der Heilige Weg“,
1919). Wie sich hier geradezu ein universaler „Utopie-Trend“ durch die Geschichte
zieht, exemplifiziert die Verfasserin: Es geht um die Wirkungsgeschichte von
Platons idealem Staat (Politeia), über
Augustins Gottesstaat (um 420) bis
zur Utopia von Thomas More (1516). In
diesem Kontext stellt Thommaso Campanella den Sonnenstaat vor (1602), François Rabelais (1483/1494–1553) die Abtei Thelema in seinem Romanzyklus Gargantua und Pantagruel (zwischen 1532
und 1564) und Francis Bacon Nova Atlantis
(1627). Im 20. Jh. verbindet Martin Buber – sich Marx annähernd – Utopie und
Sozialismus miteinander. Hier wird der Staat durch die humane, gerechte
Gesellschaft ersetzt. Auch diese linkshegelianisch geprägte Utopie gewinnt
messianische Züge, ebenso wie die „konkrete“ von Ernst Bloch mit „Das Prinzip Hoffnung“ (1954–1959). Hier
finden sich auch Annäherungen sowohl an die Universal-Konzeption der Kabbala
wie des Chassidismus.
Und
noch einmal fokussiert die Autorin utopisch-eschatologische Ansätze und
Konzepte am messianischen
Zeitverständnis von Maimonides. Letztlich stimmt sie einem intellektuell
und ethisch-moralischen Ideal zu, nämlich „sich den Freuden der Erkenntnis und
der Kontemplation in einer Menschlichkeit an[zu]nähern, die nicht verklärt ist,
sondern fähig ist, eine Gottesverehrung mit reinen Lippen zu etablieren und
damit die widerstreitenden Kräfte und ihre Differenzen zu übersteigen“ (S. 215
eig. Übers.)
Resümee
Dieses Buch ist keine systematische Philosophiegeschichte;
es sind bewusst Essays. Aber diese
Auswahl wirkt wie eine historische Lichterkette, deren Leuchtpunkte jüdische Philosophinnen
und Philosophen sind, die in der Spannung von Vernunft und Offenbarung ein
Gottesbild zeichnen, in dem Grenzen überschreitende Barmherzigkeit und Liebe im
Zentrum des Denkens steht. Die leicht verstehbare Lesbarkeit des Buches,
verbunden mit tiefgründigen Einblicken in die Geschichte und Gegenwart
jüdischer Philosophie eröffnen interreligiöse Horizonte, zu denen jüdische
Denker seit der Antike Wesentliches beigetragen haben. Es wäre schön, wenn es
dieses Buch auch als deutsche Übersetzung gäbe.
Ergänzend:
- Vgl. Jüdische Philosophie bei Judentum, Abschnitt 7 >>>
- Islamische, jüdische und christliche Philosophie -
"Trialog" - nicht nur des Mittelalters -
Literaturauswahl: Rezensionen / Kommentare - Die religiöse Welt der Iberischen Halbinsel - Veröffentlichungsreihe seit 2014
(Leiden: Brill) - Tamar M. Rudavsky: Jewish Philosophy in the Middle Ages. Science, Rationalism, and Religion.
The Oxford History of Philosophy. Oxford University Press 2018, 320 pp.
Clinton C. Gardner: Beyond Belief.
Discovering Christianity's New Paradigm
White River Press (USA) 2008, 264 pp.
White River Press (USA) 2008, 264 pp.
- ISBN-10 : 1935052020
- ISBN-13 : 978-1935052029
Reinhard Kirste
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